Ben Wichert lehrt Tanzen beim Festival in Rio de Janeiro
Der Hip Hopper aus Wuppertal gab in der brasilianischen Metropole zwei Workshops.
Ben Wichert möchte nach dem Mittagessen in der „Cidade das Artes“, einem Kultur- und Veranstaltungszentrum in Rio de Janeiro, gleich los. Er hat noch einen Ausflug zu dem „Cristo Redentor“, der berühmten Christusstatue in Rio, geplant. Da heißt es, pünktlich zur Abfahrt vor Ort zu sein — auch wenn die Einwohner Rio de Janeiros sonst so locker mit der Zeit umgehen wie Brasilien groß ist. 24 mal passt Deutschland hinein, fünf Minuten sind wie eine halbe Stunde.
Der Wuppertaler Ben Wichert, Tänzer, Hip Hop-Weltmeister 2012 und Choreograph, Schauspieler und Model hat beim Tanzfestival „Rio H2K“ Anfang Juni, einem der größten urbanen Tanzfestivals Lateinamerikas, zwei Workshops gegeben.
Als Ben Wichert am zweiten Tag im Veranstaltungszentrum „Cidade das Artes“ ankommt, trägt er Trainingshose, T-Shirt, eine Cap und eine Sonnenbrille. Auf der Bühne schließt er seinen Laptop an und zieht sich noch eine Trainingsjacke über. Der Platz vor der Bühne ist voll mit jungen Tänzerinnen und Tänzern. Zuerst macht Wichert leicht nachvollziehbare, dann immer kompliziertere moderne Tanzbewegungen vor, die sein Publikum nachmacht.
„Die Leute sind sehr engagiert und möchten viel dazulernen“, sagt Wichert. „Gestern nach meinem Workshop kamen schon einige zu mir und haben gesagt: ,Ben, du hast mir so viel beigebracht, vielen Dank!’“ Das will er noch einmal machen. Noch einmal intensiv arbeiten.
Nach kurzer Zeit tropfen ihm schon die Schweißperlen von der Stirn. Fast zwei Stunden dauert der Workshop. Einige Teilnehmer sind zum ersten Mal dabei, andere haben schon Workshops von ihm besucht. Er ist bereits in Brasilien gewesen, in São Paulo, Belo Horizonte und anderen Städten des Landes.
Die Teilnehmer des Festivals kommen aus ganz Brasilien. „Mittlerweile habe ich in Brasilien schon eine gewisse Bekanntheit erreicht“, sagt Wichert. Auch in Venezuela, Argentinien und anderen Ländern des Kontinents. Es klingt nicht wie Aufschneiderei, sondern wie eine Feststellung. „Die Tanzgemeinschaft hat mich wahrgenommen.“
Unerreicht ist in Brasilien immer noch Pina Bausch, deren Spuren man auch im Alltag begegnet, wenn man nur als Hobby tanzt oder sich einfach für Kultur interessiert und den deutschen Bildungskoffer dabei hat. Geht man in Rio de Janeiro in ein Café, kann es durchaus vorkommen, dass man auf ein Buch über Bausch auf Portugiesisch stößt.
Dem Profitänzer Ben Wichert, der selbst vom Hip Hop kommt, ist bei seinen Aufenthalten aufgefallen, dass sich viele Kompanien mit dem Tanztheater beschäftigen. Und wer Förderungen oder Preise erhält, oft diejenigen sind, die sich dem Tanztheater widmen.
So sehr Musik, Bewegung und Tanz in Brasilien im Alltag verankert sind, so schwierig ist es auch, mit einem künstlerischen Beruf Geld zu verdienen. Viele der Shows, die beim „Rio H2K“ gezeigt werden, haben erst im Ausland Premiere gehabt und sind dann hierher gekommen. Der Standort spielt eine große Rolle für den künstlerischen Werdegang. „Ich habe das Gefühl, dass das (Tanztheater) eine Sache ist, mit der man in Brasilien in die professionelle Richtung gehen kann, es wird sehr viel vom Staat unterstützt. Das liegt auch an der Bindung mit Pina“, sagt Wichert.
Pina Bausch war selbst in Brasilien, unter anderem in der Stadt São Paulo und im Bundesstaat Bahia. Sie ließ sich vom Land und seiner Kultur inspirieren und arbeitete mit Künstlerinnen und Künstlern von vor Ort zusammen. Einer derjenigen, der sie einführte, ist der Sänger Caetano Veloso. Er erzählte einmal, dass Pina Bausch dabei bis in die Morgenstunden Forró tanzte.
Aus diesen Eindrücken entstand etwa das Stück „Água“, das in Wuppertal 2001 Uraufführung hatte. Wer es sah, soll sich an Stefan Zweigs Version von Brasilien als „Land der Zukunft“ erinnert gefühlt haben. Neue Leichtigkeit, überbordende Lebenslust und Erotik, Freude an Kitsch und grellen Farben, Erinnerung an üppige Flora und Fauna hatte Pina Bausch mit nach Europa gebracht. Das Elend der Straßenkinder und die Gewalt der Favelas blieben außen vor.
Ben Wichert gefallen an Brasilien das Temperament, die Leidenschaft, das Wetter, das Essen, die Menschen. Aber er ist sich auch bewusst: „Wenn man die politische und Situation in Brasilien betrachtet, dann kann es sein, dass man als Künstler einen Strich durch die Rechnung gemacht bekommt.“
Wichert sieht Tänzerinnen und Tänzer jedoch als globale Gemeinschaft. Fast überall auf der Welt wird getanzt und es kommt auch anderswo vor, dass eine Gruppe erst im Ausland Anerkennung findet. Der Choreograph Raimund Hoghe, einst Dramaturg bei Pina Bausch, erinnert daran, dass dies selbst bei ihr der Fall war: „Als in Wuppertal das Theater bei ihren Aufführungen noch leer war, standen die Menschen in Paris schon Schlange.“
Ben Wichert ist in Wuppertal ansässig und Weltreisender: Er gibt Workshops in Rio de Janeiro, nimmt an Wettbewerben in Tokio teil. Das gehört für ihn dazu. „Hip Hop ist Life- style, frei sein, einfach machen“, sagt Ben Wichert, der afrikanische Wurzeln hat. „Wir sind offen für alle und alles. Hautfarbe, Herkunft, Alter, Geschlecht spielen keine Rolle.“
Dabei ist Brasilien eines der Länder mit der größten Ungleichheit und diese wiederum stark an die Hautfarbe gekoppelt. Und doch: „Man kommt hier hin, man tanzt, und beim Tanzen vergisst man den Alltagsstress und politische Themen.“ Ben Wichert sagt: „Wichtig ist, dass man Herz hat, dass man das, was man macht, liebt und dass man Spaß hat.“ Ob nun in Wuppertal, Rio oder Tokio.