Hilfe für Frauen „Es ist nicht deine Schuld“: Carolin Brüggemann von der Frauenberatung Wuppertal zu Femiziden und häuslicher Gewalt
Wuppertal · Die Frauenberatung Wuppertal hilft, unterstützt und berät Frauen in schwierigen Situationen.
Carolin Brüggemann drückt uns bei ihrem Besuch einen Stapel Postkarten in die Hand. Sie weisen auf das Angebot der Frauenberatung hin. Auf manchen Karten sind Zeichnungen in Pastellfarben zu sehen, auf anderen sind Fotos von Frauen, die in Sprechblasen zu häuslicher Gewalt aufklären. Auf einer mintgrünen Karte ist eine Frau abgebildet, die erklärt: „Es ist nicht deine Schuld.“
Ein wichtiger Satz, der in der Beratung eine große Rolle spielt: Denn bei Gewalt, das erklärt Carolin Brüggemann, geht es häufig um Macht und Kontrolle von Männern über Frauen – und die Männer versuchen dabei häufig, der Frau die Schuld zu geben. Obwohl sie es sind, die schlagen, treten oder gar würgen. „Wir sind zuständig für diejenigen, die sich noch nicht bei der Polizei gemeldet haben“, sagt Carolin Brüggemann zur Aufgabe der Frauenberatung. Mit Femiziden habe sie so direkt nichts zu tun, aber viel mit häuslicher Gewalt – ein Femizid sei nur die Spitze des Eisbergs, ihm gehe immer psychische oder auch körperliche Gewalt voraus.
Carolin Brüggemann gehört seit gut zwei Jahren zu dem Team, das aus fünf Beraterinnen für verschiedene Themen und einer Verwaltungsfachkraft besteht. In der Hälfte der Beratungen – 1000 Frauen berät das Team pro Jahr – geht es um häusliche und sexualisierte Gewalt. „Wir helfen den Frauen bei Entscheidungen, weisen auf ihre Möglichkeiten hin, wollen ihnen aber auch nicht die Kontrolle nehmen – denn die Frauen haben bereits genug Kontrolle verloren.“ Manche Frauen wüssten auch gar nicht, dass es sich um häusliche Gewalt handelt. „Das muss benannt werden – aber wir sagen dann auch: Du bist nicht allein. Es gibt Hilfe und Unterstützung.“ Hilfe und Unterstützung bedeutet dann in manchen Fällen, den Frauen ihre Rechte zu erklären: „Viele kennen ihre Recht gar nicht – und die Täter spielen genau damit, erklären ihnen, dass sie keine Rechte haben, ihnen wird damit gedroht.“
Ein erstes Warnzeichen seien Demütigungen – und schließlich könne daraus der Gewaltzyklus entstehen: „Als erstes kommt die Spannungsphase, in der zweiten Phase entlädt sich die Spannung über die Gewalt und in der dritten Phase kommt die Reue, dann schleimen sich die Männer wieder ein“, erklärt Carolin Brüggemann. „Und dann geht es wieder von vorne los.“
Wichtig ist der Frauenberatung, den Betroffenen zu erklären, dass es nicht an ihnen liegt – „Es ist nicht deine Schuld“ –, sondern dass die Gewalt eine Dynamik hat, und es äußerst schwer ist, sich daraus zu befreien. „Sich zu trennen, ist ein riesiger Schritt. Es besteht meist finanzielle Abhängigkeit, Abhängigkeit durch Aufenthaltstitel, außerdem eine Ambivalenz zum Täter – schließlich handelte es sich mal um eine Liebesbeziehung.“
Mehr Aufklärung
und Weiterbildung
Carolin Brüggemann fügt hinzu, dass Schuld und Scham eine Rolle spielen, und dass das Schuldgefühl, das der Täter der Frau anlastet, nicht so einfach weggeht. Und dass die Trennung zwar immer notwendig ist, aber auch ein Risiko darstellt: „Ein Drittel aller Femizide steht im Zusammenhang mit einer Trennung.“
„Wenn die Frauen Kinder haben, wird es richtig kompliziert“, berichtet Carolin Brüggemann. „Das Recht des Vaters auf Umgang ist schwer erträglich“, sagt sie und weist auf eine große Schutzlücke hin. „Beim Jugendamt und bei der Polizei sind einzelne super fit beim Thema häusliche Gewalt – es gibt aber auch andere, die zu wenig wissen.“
Ein Mittel im Kampf gegen häusliche Gewalt und Femizide sieht sie in Weiterbildungen – aber nicht nur für Menschen in bestimmten Ämtern und Positionen, sondern gesamtgesellschaftlich: „Es bedarf der Aufmerksamkeit, dass wir in einer patriarchalischen Gesellschaft leben. Ein traditionelles Rollenverständnis – der Mann sollte Macht über die Frau haben – gibt es auch hier. Ja, es ist in anderen Ländern noch schlimmer, aber trotzdem sind nicht alle Geschlechter gleich viel wert.“ Sie führt an, dass schon das binäre Geschlechtersystem – also die Einteilung ausschließlich in Mann und Frau – diskriminierend ist.
„Wir müssen das Thema Gewalt und Femizide in die Öffentlichkeit lassen – denn Gewalt gegen Frauen ist kein isolierter Einzelfall.“ Die Politik müsse etwas ändern, Femizide müssten in Statistiken erwähnt werden, für die gesellschaftliche Bewegung brauche es aber vor allem einen gesellschaftliche Aufschrei. „Spanien weist zum Beispiel in den Abendnachrichten auf Femizide hin.“ Dass viele bei häuslicher Gewalt vor allem an körperliche Gewalt denken, mache die Sache nicht einfacher: Denn auch psychische Gewalt hinterlässt Wunden – und ist häufig die Vorstufe zu physischer Gewalt.
Auf die Frage, was man gegen häusliche Gewalt und Femizide tun kann, antwortet Carolin Brüggemann, Geschlechtergerechtigkeit müsse schon früh thematisiert werden, bereits in der Kita oder der Grundschule, ungleiche Machtverhältnisse müssten abgebaut werden, schließlich verdienen Frauen noch immer weniger, Männer sind häufiger in mächtigen Positionen, Gewalt gegen Frauen wird oft nicht konsequent geahndet. Wichtig seien außerdem mehr Frauenhausplätze und eine volle Finanzierung von Institutionen wie der Frauenberatung.
Und der Weg zu einer Gesellschaft, in der es weniger oder keine Gewalt gegen Frauen gibt, weil sie Frauen sind, wird nicht unbedingt kürzer: Die Frauenberatung habe im Januar 2023 doppelt so viele Beratungsanfragen wie im Januar 2022 gezählt – „Tendenz steigend“, fügt Carolin Brüggemann hinzu. Die Folgen der Lockdowns während der Pandemie zeigten sich nun, das Weltgeschehen belaste die Frauen, finanzielle Sorgen kommen auf, es gebe zu wenig Therapieplätze. Auch an dieser Stelle hilft die Frauenberatung, überbrückt die Zeit, bis eine Psychotherapie möglich ist.
Vor allem aber vermittelt das Team immer wieder, dass die Frauen selbst keinerlei Schuld haben daran, wenn sie Opfer von Gewalt werden. Und weist auf erste Anzeichen für Gefahren in Beziehungen hin: Vorsicht ist geboten, „Wenn du emotional erpresst wirst“, „Wenn deine Bedürfnisse nicht ernst genommen werden“, „Wenn deine Wahrnehmung immer wieder in Frage gestellt wird und du beginnst, an dir selbst zu zweifeln“, und: „Wenn du die Schuld für die Fehler anderer bekommst“.