Literatur Cherry Duyns stellt in der Zentralbibliothek seinen in Wuppertal angesiedelten Roman „Abschied“ vor

Wuppertal · „Früher ist immer länger her“

Stellten das Buch in der deutschen Übersetzung vor: Herausgeber Hajo Jahn (v.r.) und Michael Weber (Vorwerk-Unternehmenskommunikation), Autor Cherry Duyns und Meike Nordmeyer (Zentralbibliothek).

Foto: Anna Schwartz

„Ein Krampf erfasst ihren Körper, die Schmerzwelle zieht über ihr Gesicht.“ Seine Mutter liegt im Sterben. In Wuppertal. Im Altenheim. Zimmer 408. Er hatte diesen Anruf erhalten. Ob er kommen wolle. Von den Niederlanden in die Stadt im Tal, in der Hildegard gelebt hatte und nun ihre letzten Tage verbrachte. Ihren letzten Atemzug, der Cherry Duyns dazu inspirierte, ihre Geschichte aufzuschreiben. Als Roman. „Abschied“ lautet sein Titel.

Der Niederländer, der 1944 in Elberfeld geboren wurde, als die Stadt aus Ruinen bestand, dort zwei Jahre in die Volksschule ging, offenbart darin das Leben einer Frau, die mit ihrem Mann, dem niederländischen Varietékünstler Gerardus Johannes Dujins, als Zwangsarbeiter durch das brennende Deutsche Reich reiste, später bei Vorwerk am Fließband stand und sich schließlich für die Partei der Grauen Panther engagierte.

Fast schlaglichtartig, episodisch reflektierend, changiert die Stimmung seiner Aufarbeitung zwischen einem sonnigen Tag auf der Wiese im Freibad Mirke bis zum Ausstieg am Bahnhof Varresbeck. Kein Ausflug, sondern verschleppte Zwangsarbeiter. Der Roman erschien 2020 zunächst auf Niederländisch und wurde nun dank der Förderung der Wuppertaler Unternehmer Eberhard Robke und Jörg Mittelsten Scheid ins Deutsche
übersetzt.

Tausende Zwangsarbeiter
gab es in Wuppertal

Herausgegeben von Hajo Jahn ist er in einer Auflage von 200 Exemplaren für 15 Euro bei der Else-Lasker-Schüler-Gesellschaft erhältlich, deren Vorsitzender er ist. „In Wuppertal gab es bis zu 25 000 Zwangsarbeiter“, berichtet Jahn. „Doch wenn man davon spricht, spricht man über abstrakte Zahlen. Duyns arbeitet sie an der persönlichen Geschichte seiner Mutter auf.“ In seinem 1992 veröffentlichten Roman „De Zondagsjongen“ (Der Sonntagsjunge) verarbeitete er bereits seine eigene Biografie, in der er sich über lange Strecken als Außenseiter sah. Sein Werk „Abschied“ soll aufgrund seiner zeithistorischen Relevanz auch pädagogisch eingesetzt werden, so der Ansatz von Herausgeber Hajo Jahn. Neben den Stadtteilbüchereien erhalten daher alle Wuppertaler Schulen ein Exemplar des Romans. Nach der Befreiung von der NS-Diktatur 1945 reisten Cherrys Eltern mit ihrem Sohn in die Niederlande. Doch dann kam die Trennung. Der Junge ging mit seiner Mutter zunächst wieder nach Wuppertal („Ich sah etwas durch die Luft fliegen, das war die Schwebebahn“), bevor die Niederlande seine Heimat wurden. Duyns fing als Journalist bei einer Wochenzeitung in Amsterdam an, schrieb Theaterstücke und Kurzgeschichten und drehte rund 80 Dokumentarfilme fürs Fernsehen, darunter über Königin Beatrix.

„Eigentlich dachte ich nach dem Tod meiner Mutter, dass mein persönliches Kapitel Wuppertal zu Ende wäre, aber es fing damit erst an.“ So versuchte er, bei der Rekonstruktion ihrer Geschichte „in die Nähe der Wahrheit“ zu kommen. „Die Erinnerungen sind noch da, aber der Halt ist nicht mehr da.“ Oder wie er es zum Abschluss des Gespräches ausdrückt: „Früher ist immer länger her.“

An diesem Freitag, 24. Mai, stellt der Schriftsteller sein Buch in der Zentralbibliothek vor. Die Lesung beginnt um 19.30 Uhr an der Kolpingstraße 8. Der Eintritt ist frei.