Soziales Wie Corona die Inklusion in Wuppertal ausbremst

Wuppertal · Geistig behinderte Kinder haben es während der Pandemie besonders schwer. Das liegt unter anderem an den Masken und dem Distanzunterricht.

Corona stellt Kinder mit körperlichen und geistigen Einschränkungen vor Herausforderungen.

Foto: dpa/Holger Hollemann

Die Corona-Krise hat die Beschulung von geistig behinderten Kindern und Jugendlichen an Förder- und Regelschulen massiv erschwert. Zu Beginn der Pandemie ist sie komplett zum Erliegen gekommen. Und auch nach den Sommerferien stehen die Menschen, die mit geistig eingeschränkten Kindern arbeiten, vor nie dagewesenen Problemen. Das berichtete der WZ Mathis Klima, Vorstand des Vereins „Behindert - na und?“.

Knapp 400 Inklusionshelfer des Vereins begleiten Schülerinnen und Schüler an Regel- und Förderschulen, um sie individuell beim Lernen zu unterstützen. Das System kollabierte, als die Schulen in der Pandemie auf Distanzunterricht umstellen mussten. Klima: „Das war eine absolute Katastrophe.“ Viele betroffene Kinder waren plötzlich vom Schulbetrieb ausgeschlossen, weil Lernen mit Computer und Internet für sie nicht möglich ist. Der Vereinschef erläutert: „80 Prozent der Kinder können überhaupt nicht die Endgeräte bedienen.“

Auch an der Notbetreuung in den Schulen durften die meisten Inklusions-Kinder nicht teilnehmen, weil sie nicht in der Lage sind, eine Gesichtsmaske zu tragen. Klima sagt: „Die wird sofort abgerissen, weil die Kinder nicht verstehen, warum sie diesen Fremdkörper im Gesicht haben. Das kann man ihnen auch nicht erklären.“

Jenny Klemmer (33), gelernte Erzieherin, ist eine der Inklusionshelferinnen des Vereins. Sie begleitet eine 14-Jährige an die Troxlerschule und erinnert sich, wie traurig der Schulabbruch für die Kinder war: „Wir waren gerade dabei den Abschluss vorzubereiten“, erzählt sie. Denn nach der achten Klasse wird der Klassenverband aufgelöst, die Jugendlichen auf verschiedene Werkgruppen verteilt. Sie hatten angefangen, ein Theaterspiel vorzubereiten, damit war es vorbei. „Auch auf die Abschlussfahrt nach Holland hatten sich alle so gefreut.“ Für die Kinder sei der soziale Kontakt wichtig: „Sie haben sich gefreut, wenn sie morgens ihre Freunde sehen.“

Um eine komplette Vernachlässigung zu vermeiden, machte es der Verein in Zusammenarbeit mit der Stadt möglich, dass die Inklusionshelfer zumindest in einem sehr eingeschränkten Rahmen die Kinder besuchen konnten, um mit ihnen ein paar grundlegende Dinge weiter einzuüben. Trotzdem musste der Verein „Behindert – na und?“ in Kurzarbeit gehen. Jenny Klemmer hat das von ihr betreute Mädchen zu sich nach Hause geholt, mit ihr gebastelt und gekocht. „Die Eltern waren sehr dankbar, mal Zeit zum Einkaufen oder für eine Runde Sport zu haben“, weiß sie.

Denn die Situation für betroffene Eltern sei sehr belastend gewesen, berichtet Mathis Klima. Die Kinder hätten bis heute nicht verstanden, warum sie plötzlich kein Bus mehr abholte, sie die Freunde nicht mehr sehen könnten. Jenny Klemmer sagt, auch die Eltern des von ihr betreuten Mädchens seien sicher viele Male stark gefordert gewesen, ihr klar zu machen, dass sie nicht hinaus und nicht zu ihren Freunden darf. Das Mädchen könne sehr schwierig werden, wenn sie etwas nicht versteht.

Mathis Klima sagt, den Verein hätten mehrfach Hilfeschreie von Eltern erreicht, die von der Situation überfordert waren. Alleinerziehende Mütter beispielsweise hätten gar nicht mehr zur Arbeit gehen können. Und er sagt: „Es gab Fälle, da sind die Kinder mit dem Messer auf die Eltern losgegangen, weil sie ganz verzweifelt waren.“

Kindern fällt es schwer,
in den Alltag zurückzufinden

Inzwischen ist der Schulbetrieb wieder angelaufen. Jenny Klemmer berichtet, dass es vielen Kindern nach so langer Zeit schwer falle, in den Alltag zurück zu finden. Wegen Corona fehlten Rituale, etwa die Begrüßungsrunde der ganzen Schule am Montagmorgen, sonst mit Gesang. Die Kinder dürften auch nicht mehr bei kleinen Handreichungen helfen, damit es weniger Bewegung in der Klasse gibt – damit fehle auch die Übung der Selbstständigkeit. „Wir sitzen jetzt viel“, stellt sie fest. Und Klima bedauert, dass die Maske das Leben erschwere: „Bei uns läuft viel über die Mimik“, sagt er. Einige Kinder verstünden ihre Bezugspersonen durch den Stoff oft nicht.

Für manche Kinder mit Behinderung halte der Ausnahmezustand an, denn sie müssen auch nach den Ferien noch zu Hause bleiben. „Es gibt da eine sehr traurige Besonderheit, gegen die wir politisch ankämpfen wollen“, sagt Klima. Während Kinder, die keine Maske tragen können, in der Schule mit Ausnahmegenehmigung keinen Schutz tragen müssen, gelte diese Regelung nicht in den Sonderbussen. „Das führt dazu, dass Kinder, die eigentlich zur Schule gehen könnten, noch immer zu Hause bleiben müssen“, sagt Klima. Schließlich seien die Eltern in einigen Fällen mittellos und ohne Auto.

Bei der Stadt, die die Busse für die Förderschulen bestellt, zeigte man sich von dieser Praxis am Freitag überrascht. Stadtsprecherin Martina Eckermann sagte der WZ: „Wir sind eigentlich der Auffassung, dass Menschen mit geistiger Behinderung von der Maskenpflicht ausgenommen sind.“ Man werde dem Problem nachgehen.