Gastbeitrag Das Ehrenamt leuchtet auf
Wuppertal ist vorbildlich im Umgang mit Flüchtlingen. Aber wir können noch mehr tun.
Wuppertal. In Wuppertal sind 85 Prozent der Flüchtlinge in Wohnungen untergebracht, nahezu bundesweit einmalig. Unter dem Titel „In unserer Mitte“ fand im Januar ein großes Benefizfestival im bis unters Dach gefüllten Opernhaus statt.
Ein Abend getragen von Offenheit und der Ahnung der Wuppertaler, dass die Stadt jetzt als solidarische Dorfgemeinschaft gefragt sein könnte. Breites ehren- und hauptamtliches Engagement leuchtet überall auf, Spenden fließen. Grund, still stolz zu sein auf diese Stadt.
Zurück zum Anfang: Wer aber sind sie? Ein junger Yezide, Anfang 30, hat hier Zuflucht gesucht. Normalität möchte er. Sich allzu häuslich einrichten, sichtbar leben und heimisch werden möchte er nicht. Aus Angst vor Häschern, die auch den Rest seiner Familie ermorden könnten.
Drei Syrer haben zu Fuß die Odyssee unternommen. Ihre Angehörigen leben in Wuppertal. Sie selbst haben viel Zeit hier verbracht. In Bulgarien saßen sie mit 40 Personen hungernd in einer Zelle und wurden misshandelt. Jetzt liegt gemäß Dublin III die Abschiebeanordnung aus Baden-Württemberg in selbiges Land vor.
In Freital ist „Wir sind das Volk“ vom Befreiungsruf zum völkischen Gegrunze verkommen. In Dortmund wird eine Stadträtin im Rollstuhl als „lebensunwertes Leben“ bedroht. Gefragt, ob sie auf der jüngsten Demo mit einem mulmigen Gefühl war, sagt sie: „Nein, mit einem Megaphon.“
Rechtsextreme machen „Hausbesuche“ in Flüchtlingsunterkünften. Auch in Wuppertal. Mehrfach. Die Vorgänge sind in fast reinem Deutsch und noch reinerem Zynismus in Bild und Text sauber dokumentiert. Grund, sich zu schämen. Angesichts der Flüchtlingszahlen fordern manche Verständnis für Überfremdungsangst. Mein Verständnis für Unverständige ist niederschwellig, es liegt bei null.
Also: „Helfen“ statt „Hass“: „Flüchtlingen helfen“. Doch wer ist der Helfer, und wem wird geholfen? „Flüchtlinge“ kennt unser Sprachgebrauch als anonymisiertes Kollektiv. Es gibt indes Gerüchte, ernstzunehmende Hinweise sogar, dass sie Individuen sind. Mindestens ein Drittel der Wuppertaler, also von uns, haben - Tendenz steigend - „Migrationshintergrund“.
Alle sind ziemlich individuell, wie wir täglich an uns selbst beobachten. Einzigartige Menschen wie Sie und ich, mit Ängsten, Hoffnungen, Stärken, Schwächen, Leidenschaften, Marotten. Zuwanderung ist keine Krankheit, die es zu heilen gilt. Und Integration keine Therapie.
Konzentrieren wir uns lieber auf die dringenden therapeutischen Angebote für traumatisierte Geflüchtete. Nicht Mechanik, Herz ist gefragt - ohne jede Sentimentalität. Denn dieses Herz schlägt im Takt der Vernunft. Unsere Stadt, seit Jahrhunderten durch Einwanderung geprägt, ist auf dem Weg, diese Aufgabe als Chance, ja, als Geschenk zu begreifen. Mediale Bilder des Leidens erreichen uns, ohne uns zu erreichen. Vor, hinter, neben den Bildern kauert der stumme Protest, das erstickte Weinen, das auch in unserer Mitte wohnt, unmittelbar benachbart: die kleine Geste, der Blick. Und der Mut, der unbeugsame Wille.
Also, wer sind sie? Sie sind wir, und wir sind sie. Korrektur. Ihr seid wir, und wir sind ihr. Wir geben Euch eine Stimme, doch Ihr habt eine ganz eigene, jede und jeder von Euch. Souverän, tapfer, eigenwillig, mit dem Ernst derer, für die alles auf dem Spiel steht, probten die drei Syrer täglich bis zu sieben, acht Stunden für die Johannes-Passion: Sie standen in der Wuppertaler Oper auf der Bühne und machten einfach wahrhaftige Kunst. Die Rückführungsanordnung besteht, zahlreiche Angehörige bangen aussichtslos um Rettung nach Europa. Es gibt keine Alternative? Doch, wir alle.