Das Schauspielhaus ins Leben getanzt
Mit Underground IV schaffen die Tänzer einen fantasievollen, mal witzigen, mal meditativen Abend. Auch die Zuschauer bleiben in Bewegung.
Wuppertal. Die Warteschlange gehört zum Gesamtkunstwerk. 200 Besucher stellen sich vor dem Schauspielhaus am Notausgang ganz rechts in einer Schlange auf. Sie wollen Underground IV sehen — den vierten Teil des Projekts, in dem Mitglieder des Tanztheaters ungewöhnliche Orte in der Stadt künstlerisch erforschen.
Nach dem Elefantenhaus im Zoo, dem Außen- und Innengelände beim Unternehmen Riedel und dem Parkhaus am Wicküler Park übernehmen die Tänzer nun das Foyer des geschlossenen Schauspielhauses für ihr Experiment. Und um es gleich zu sagen: Es ist ein großartiger Tanzabend geworden (Projektgestaltung und künstlerische Beratung: Rainer Behr und Mark Sieczkarek). Dank Live-Musik und medialem Mix geht er weiter als die bisherigen; fantasievoll, witzig, schräg und meditativ spielt er mit Räumen und Stimmungen.
Die Schlange am Eingang entsteht nämlich nur, weil die Besucher nach der Entgegennahme von Programm und Getränkemarke in einem Blumenidyll verweilen. Auf dem Kunstrasen bewegt sich Ophelia Young gemächlich zwischen Sofa, Sesseln, Holztischchen und vielen Blumentöpfen. Ein Geiger spielt dazu, ein junger Mann bearbeitet das Klavier.
Neben dieser Performance gehören sieben weitere zur Gesamt-Installation, die die Besucher in den ersten 30 Minuten in den Abend hineinzieht. Immer wieder erscheinen Tänzer zu kurzen Aktionen, in Nischen laufen Filme wie „Textures“ von Kai Fobbe. Fürs Abendprogramm übernimmt erst mal Nazareth Panadero den großen Innenraum, während Maik Ollhoff und Jonas David ihre elektronische Musik wummern und pfeifen lassen.
„Paar mit Hund“ heißt Panaderos Performance mit Michael Strecker, die am ehesten an Bausch-Stücke erinnert und natürlich ganz ohne Vierbeiner auskommt. Wer hier das Hündchen sein soll, wechselt. Mal bestimmt Strecker ihre Bewegungen und dreht sie um sich selbst, mal wirken ganz ähnliche Bewegungen wie ein romantischer Pas-de-Deux.
Doch an der Stelle ist genug geschaut. Emma Barrowman treibt die Zuschauer zur Garderobe. In „Epilogue“ sucht sie verzweifelt ihre Schlüssel, rennt gebückt — wegen der niedrigen Decke — über den Tresen und spricht hastig von ihrem Kindheitstrauma, der Scheidung ihrer Eltern. Sie geht mitten durch die Zuschauer, die den Abend über in Bewegung bleiben. Nicht in jedem Moment kann jeder alles genau sehen. Aber das macht nichts, die fröhliche Spannung überträgt sich trotzdem.
Sinnentleerte TV-Shows nimmt „Rasenmäher MixUp“ aufs Korn. Ein Moderator (schön zackig-nervös: der Schauspieler Uwe Dreysel) belabert einen Kandidaten aus dem Publikum, während Tsai-Wei Tien und Jan Möllmer lasziv hinter einem Handrasenmäher hertanzen. Das hinterlässt eindrückliche Bilder ebenso wie die Performance mit der mächtigen Windmaschine, die Tänzer durch den Raum treibt und lange Bahnen weißer Folie flattern lässt.
Zum Abschluss erkunden Cagdas Ermis und Daniel Chein in einem Film das „Playhouse“, die Orte, an die Zuschauer derzeit nicht kommen. Auch deshalb möchte man im Hinblick auf das geplante Pina Bausch Zentrum die Veranstaltung als symbolischen Akt sehen: Es ist ein Tanzabend, der nicht nur im, sondern mit dem Schauspielhaus spielt und so all die wunderbaren Möglichkeiten aufblitzen lässt, die der Graubner-Bau zu bieten hat.