Offen gesagt Politiker durcharbeiten, bitte
Wuppertal. An einer Wuppertaler Grundschule hat sich gestern eine Lehrerin in den Ruhestand verabschiedet. Drei Jahrzehnte an der Schule sind eine lange Zeit. Genug. Es reicht. Dass die Pädagogin jedem Kind in ihrem letzten 4. Schuljahr ein persönliches Geschenk machte, dass sie jedes Kind herzte, dass Mädchen und Jungen weinten und auch die Lehrerin ihre Tränen nicht aufhalten konnte, sagt viel über sie und über ihre Berufsauffassung.
Diese Lehrerin ist Beispiel für viele, viele andere nicht nur an Wuppertals Grundschulen. Kinder vier Jahre auf dem Weg zur weiterführenden Schule zu begleiten, hinterlässt Spuren, es verbindet, schweißt zusammen.
Dennoch, sagt die Lehrerin, ist jetzt der richtige Zeitpunkt zu gehen. Wer ihr zuhört, versteht, dass es der richtige Moment ist, weil so vieles falsch läuft. Die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft hat in dieser Woche gegenüber der WZ beklagt, dass den Grundschulen das Personal ausgeht. Sie ließ Zahlen sprechen. Aber Zahlen sind abstrakt. Die Erlebnisse von Lehrern sind konkret. Eltern, die sich um die Schullaufbahn ihrer Kinder kümmern, kennen vermutlich einige davon.
An besagter Grundschule in Wuppertal ist es so wie vermutlich an vielen anderen Grundschulen. Das Bemühen, behinderte und nichtbehinderte Kinder gemeinsam zu beschulen, ist ehrlich. Aber es funktioniert nicht. Entweder fehlen Räume oder es fehlen Lehrer oder es fehlen Sozialpädagogen, die sich eingehend um die behinderten Kinder kümmern. Jedes Fehlen für sich genommen ist schon schwierig zu organisieren. Wann aber alles zusammenkommt, geht nichts mehr. Zwei Klassen gleichzeitig zu unterrichten, scheint an Grundschulen auch in Wuppertal keine ganz seltene Ausnahme mehr zu sein.
Wenn dann auch noch Kinder mit mangelnden Deutschkenntnissen in den Schulbänken sitzen, wenn ausgerechnet die Kleinen, die es am nötigsten hätten, zu Hause keine Hilfe haben, dann wird klar, wie sehr schon die Grundschulen Reparaturbetriebe der Gesellschaft sind.
Diese Probleme sind nicht hausgemacht. Die Schulen können nicht dafür, die Städte auch nicht. Die Schwierigkeiten wurzeln in der Bildungspolitik des Landes Nordrhein-Westfalen. Dessen Ministerpräsidentin Hannelore Kraft (SPD) hat sich mit dem Spruch „Wir lassen kein Kind zurück“ zur Landesmutter wählen lassen. Wann wird sie wohl damit anfangen?
Für die Wuppertaler Grundschullehrerin geht ein Berufsleben zu Ende, an dem sich die ganze Entwicklung der Gesellschaft ablesen ließe. Vorbei die Zeiten, in denen die Familie eine Kindheit lang der sichere Hafen am Ende des täglichen Abenteuers war. Vorbei die Zeiten, in denen die Mutter mit dem Mittagessen wartete. Heute wartet oft niemand. Heute müssen Schulen organisieren, dass sie ihre Schüler möglichst lange am Tag in ihrer Obhut haben. Dass es in den allermeisten Fällen gelingt, grenzt an ein Wunder. Es wird möglich gemacht durch Lehrerinnen und Lehrer, für die ihr Beruf mehr ist als Geldverdienen und viel Urlaub. Diese Frauen und Männer haben den Dank aller Mütter und Väter verdient. Und sie brauchen Bildungspolitiker, die jetzt keine Ferien, sondern sich Gedanken darüber machen, wie sie Schulen so ausstatten, dass sie ihren Aufgaben auch in Zukunft gerecht werden können.
Ja, es stimmt: Bildung kostet sehr viel Geld. Aber keine Bildung ist auf die Dauer noch teurer.