Schwarze Komödie Das Wuppertaler Theater der Generationen führt Dürrenmatts „Die Physiker“ auf
Wuppertal · Wer die wirtschaftliche Macht hat, entscheidet über Fluch und Segen der Wissenschaft.
Die Freiheit der Wissenschaft ist in der UN-Charta verankert, die Frage nach ihrer Verantwortung gegenüber der Gesellschaft beschäftigt die Menschen seit Generationen. Zentrales Thema auch von Friedrich Dürrenmatts Klassiker „Die Physiker“. Die schwarze Komödie in zwei Akten entstand 1961 unter dem Eindruck des Kalten Krieges, der zwischen den Großmächten USA und UdSSR ausgebrochen war und der im selben Jahr die zwei Teile Berlins und Nachkriegsdeutschlands durch Mauern einzementierte. Das Gespenst vom Atomkrieg ängstigt die Menschen seit damals und ist so aktuell wie nie. Das weiß auch das 17-köpfige Ensemble des Theaters der Generationen, das seine Version des Theaterstücks in der noch jungen Spielzeit aufführt. Am 19. Oktober ist Premiere im Theater am Engelsgarten.
Die Suche nach der Produktion setzte ein, nachdem die letzte, „Alice im Wunderland“, Ende 2023 „abgespielt“ war. Nach umfangreichen Diskussionen entschied sich das Team um Charlotte Arndt im Januar dieses Jahres für Dürrenmatts Klassiker, weil „wir ein Stück für Erwachsene machen wollten, das zu unseren Besetzungsmöglichkeiten passt, spannend ist und hochaktuell“, erklärt die Theaterleiterin und Regisseurin: „Auch heute haben die Leute Angst vor dem (Atom-)Krieg.“ Und Michelle Middelhoff (29), die im Alltag Lehrerin an einer Förderschule und im Stück Kriminalinspektorin Rita Voß ist, ergänzt: „Die Älteren im Ensemble haben den Kalten Krieg erlebt, sind in Sorge über die aktuellen Entwicklungen.“
Die Frage nach der Verantwortung der Wissenschaft, was sie darf und was sie soll, stelle sich auch heute, in Zeiten von KI. Sie scheitert an der (wirtschaftlichen) Macht, die sie zugleich beantwortet und überflüssig macht. „Für mich ist der Kern des Stücks, wenn die drei Physiker erkennen, dass die Profitgier, der wirtschaftliche Profit siegt, der aus den Technologien gezogen wird“, findet der Student für Philosophie und Informatik, Arne Kayser (27), der in die Rolle des Physikers Johann Wilhelm Möbius schlüpft. Gerade in diesem Jahr hat Elon Musks Medizintechnik-Firma Neuralink einem Patienten einen Gehirnchip eingesetzt, der technische Geräte ansteuern kann. Eine wissenschaftliche Entwicklung, die einerseits unter Parkinson, Demenz oder Depressionen leidenden Menschen helfen, die andererseits zur Fremdbestimmung missbraucht werden kann. Einzelne Menschen können so viel Macht haben, dass sie andere kontrollieren können – allein durch die Anhäufung durch Kapital, beschreibt Middelhoff.
Das Theater der Generationen wurde 2014 von Theaterpädagogin Sylvia Martin ins Leben gerufen, um Erwachsenen verschiedener Altersstufen die Möglichkeit zu geben, unter professioneller Anleitung gemeinsam Theater zu machen, binnen eines Jahres ein Stück zu erarbeiten und dieses auf die Bühne zu bringen. In Martins Nachfolge arbeitet Charlotte Arndt seit Oktober 2020 mit dem Theater der Generationen zusammen, das aktuelle Menschen von 15 bis 67 Jahre vereint. Wozu auch die gemeinschaftliche Erarbeitung der Inszenierung zählt.
Inszenierung wird gemeinschaftlich erarbeitet
Bei Dürrenmatt bleibt das Ensemble nah am Text, verlegt die Geschichte um drei vermeintlich verrückte Physiker und drei getötete Krankenschwestern im ehrenwerten Sanatorium „Les Cerisiers“ von den 1960er Jahren ins Heute. Das Frauenbild ist emanzipierter, Krankenschwestern werden nicht durch Pfleger, sondern durch muskelbepackte Kolosse ersetzt, sie bilden eine unüberwindbare, geschlechtslose Mauer. Moebius’ Exfrau ist nicht mehr mit einem Missionar mit fraglichem Weltbild verbandelt, sondern mit einem Schamanen, wodurch die Esoterik als Zufluchtsmöglichkeit aus dem furchtbaren Weltgeschehen eingebunden werden kann. Überdies tritt Dürrenmatt, im Original eine Art Erzähler, nun de facto auf und greift in die Handlung ein. „Der Schöpfer trifft auf seine eigenen Monster“, sagt Arndt. Mehr verraten will sie nicht.
Seit Januar wird an der Inszenierung gefeilt, die, in Anlehnung an Dürrenmatt, in einer leicht verlotterten Villa spielt. Mit Möbeln, die sich in unterschiedlichen Epochen angesammelt haben, ohne Stilfolge, „ein wilder Mustermix zwischen Kitsch und Schrecken“. Ein Bühnenprospekt dahinter deutet mit drei Ein-/Ausgängen die Zimmer der Physiker an. Die Szenerie verändert sich im Verlauf der Geschichte, die klar definierten Räumlichkeiten lösen sich auf. Die Personen tragen heutige Kleidung, die Physiker ihren Alter Egos entsprechende (von Newton bis Einstein) Kostüme, die Kolosse sind in Blümchenhemden gekleidet, unter denen sich ihre Muskeln abbilden.