Der in der Kälte lebt: „Irgendwann lernt man, die Ellenbogen zu benutzen“
Thomas E. (45) lebt seit seinem 18. Lebensjahr immer mal wieder auf der Straße. Der WZ hat er von seinem Leben erzählt.
Wuppertal. Wo genau er schläft, will Thomas E. (45) nicht verraten. „Überall, in Unterführungen, in Hausecken, auch mal auf einem Dachboden - wenn ich reinschlüpfen kann . . .“ Mit Humor und Selbstironie berichtet Thomas E. von seinem Leben. Will keine Bitternis aufkommen lassen. Die blitzt trotzdem durch.
Das Gespräch findet im Café Oberstübchen der Diakonie an der Oberstraße statt. Hier ist es nicht nur warm, sondern auch der Kaffee billig. Es gibt Duschen, Waschmaschinen und Trockner. Hier hat sich der 45-Jährige morgens frisch gemacht und saubere Kleider angezogen.
Es sei gefährlich, immer an der gleichen Stelle zu übernachten: „Das ist ein hartes Leben da draußen.“ Andere könnten seinen Schlafplatz entdecken, ihn angreifen. Auch Schlafsack und Isomatte, die er tagsüber versteckt, könnte jemand finden.
Manchmal geht er in eine öffentliche Schlafstelle: „Ist nicht das Gelbe vom Ei.“ Man schlafe mit zwanzig Personen in einem Raum, auf Wäsche, in der schon zig Leute lagen. Gestohlen werde auch: „Sogar Socken, die eine Woche getragen sind.“ Lieber schläft er bei Bekannten. „Aber die machen das nicht umsonst“: Er muss schon ein paar Bierchen springen lassen.
Oft bleibt er draußen. Trägt lange Unterhosen, eine Motorradjacke, um sich warm zu halten. Und trinkt. Tagsüber läuft er durch die Stadt, trifft Bekannte. „Die ersten Stunden sind hart. Wenn der Pegel stimmt“, werde es leichter. Er kennt Stellen, an denen warme Luft ausgeblasen wird, geht in die City-Arkaden und Supermärkte.
Seit fast 30 Jahren bewegt Thomas E. sich so durch Wuppertal. Dabei kennt er auch ein anderes Leben. „Ich war mal von Beruf Sohn“, beschreibt er das. „Mit 16 hatte ich eine Rolex.“ Sein wohlhabender Vater habe ihm eine luxuriöse Wohnung in Düsseldorf bezahlt. Aber er habe Party gemacht - bis er rausflog.
Der Vater warf ihn nach einem Streit auch aus seinem Geschäft, wo er damals arbeitete. Bei der Mutter war er schon vorher ausgezogen. Die Eltern hat er seither nicht mehr gesehen. Hat er Freunde? „Freunde sind Utopie!“ Zu oft sei er enttäuscht worden. Bekannte habe er.
Obwohl er Einzelhandelskaufmann gelernt habe, fand er den Weg ins bürgerliche Leben nicht dauerhaft zurück. Er hat als Gerüstbauer, im Lager und in der Telefonakquise gearbeitet. Hatte immer mal Ärger: „Ich kann den Mund nicht halten.“ Heute hat er höchstens Ein-Euro-Jobs. Lebt sonst von Hartz IV, 391 Euro im Monat. Das gebe er „mehr fürs Trinken als fürs Essen“ aus. „Flüssigkeit macht auch satt“, erklärt er. Von Drogen sei er losgekommen. Heute kifft und trinkt er nur noch.
Er war mal sehr sportlich, sauste auf Inlinern durch die Stadt, erzählt er. Heute habe er kein Geld mehr für die Ausrüstung. Dankbar ist er für die Hilfe der Sozialarbeiter der Diakonie. Die für ihn Anträge durchboxen. Er werde ja oft nicht ernst genommen. Und er hasst es, um etwas bitten zu müssen. Geld sei Freiheit: „Dann kann ich zur Not sagen ,Putz die Platte!’“ Eigentlich sei er gut erzogen. „Aber irgendwann lernt man, die Ellenbogen zu nutzen.“
Er saß auch im Gefängnis, insgesamt über sieben Jahre. Wegen kleiner Ladendiebstähle, sagt er. Bald muss er wieder rein, zwei Jahre absitzen, unter anderem wegen Körperverletzung. Hat er Pläne für danach? Thomas E. schnaubt nur.