Der Reichtum des Schaffens

Torsten Krug über künstlerische Arbeit und warum diese unbezahlbar sein kann.

Foto: Andreas Fischer

Vor kurzem sprach ich mit meinem Freund Sebastian, der ein verdammt guter Schauspieler ist, übers Leben und über unseren Beruf. Dabei fiel uns auf, dass wir in den vergangenen Jahren eine verwandte Haltung entwickelt haben: Wir begeistern uns für das, was wir tun, und wählen unsere Aufgaben sehr bewusst. Wir könnten sogar so weit gehen zu sagen: Fast alles, was wir tun, würden wir auch unentgeltlich leisten, wenn wir genug Geld zum Leben hätten. Glücklicherweise werden wir dafür bezahlt — und finden natürlich auch darin Bestätigung.

Eine Auswirkung dieser Haltung ist, dass wir die „Kunst des stilvollen Verarmens“ (so ein schöner Buchtitel) beherrschen, wenn es denn sein muss. Wer Möglichkeiten ablehnt, hat weniger Einnahmen. Zum anderen aber erfahren wir durch dieses unentfremdete Arbeiten ein hohes Maß an Sinn — und damit Freude, Erfüllung und Freiheit.

Es ist mir bewusst, dass diese Haltung nicht für alle taugt, auch nicht allen möglich ist, doch möchte ich gerne darüber nachdenken, wie es wäre, wenn sie vielleicht mehr Menschen wagten. Es tut gut und gesellschaftlich Not, sich von den gemeinen Definitionen von Erfolg, Karriere, Reichtum oder Status zu lösen. Es bietet — bei aller Bescheidenheit — ein Modell für eine friedlichere und engagiertere Gesellschaft.

Kürzlich wurde meinem Freund Shakespeares „Richard III.“ angeboten — eine Paraderolle für einen gestandenen Schauspieler —, an einem gut zahlenden Haus, an dem er schon als Gast gearbeitet hat. Doch Sebastian ist das halbe Jahr unterwegs mit einem Solostück: Figurentheater, bei dem er alleine mit Puppen, die er mit Leben füllt, Theater macht und durch ganz Deutschland reist. Damit er das — neben vielen anderen Aufgaben — tun kann, wurde ihm von dem kleinen Theater, für das er diese Produktion macht, der Führerschein finanziert. Sebastian kommt aus dem Osten und fährt sonst nur Fahrrad. Davon, dass er Richard III. ablehnen musste, erzählt er mir ohne Traurigkeit oder Ärger: Er freut sich wie ein Kind auf die Tournee mit dem Solostück, bei dessen Erarbeitung er sich mit dem Regisseur und einem Team ausleben konnte.

Nun war in den vergangenen Kolumnen an dieser Stelle viel vom Geld die Rede. Kunststück: Kunst und Kultur gibt es nicht einfach so, sondern sie verdanken sich meist dem Wirken von Menschen, die das beruflich machen. Es sind Profis — was der romantischen Idee vom inspirierten Originalgenie nicht widersprechen muss. „Kunst ist schön, macht aber viel Arbeit“, wusste Karl Valentin, und diese Arbeit will und muss wie andere Arbeit auch entlohnt werden.

Zum Problem, dass die Leistungen von Kulturschaffenden in der Gesellschaft oft nicht angemessen honoriert oder gar nicht wahrgenommen werden, gesellt sich auf der Seite der Künstlerinnen und Künstler, dass es ihnen oft schwerfällt, über Geld zu sprechen. Das sollte sich ändern. Viele Kulturschaffende neigen nicht zufällig zur Selbstausbeutung: Sie empfinden das, was sie tun, als einen Reichtum an sich.

Sie stehen damit im Gegensatz zu vielen, die ihren Beruf als Einnahmequelle, als existenzielles Übel ansehen. Vor etlichen Jahren hat Sebastian seine Stelle als Ensemblemitglied mit „Kammerschauspieler“-Ehrung an einem großen Staatstheater gekündigt, um unter anderem als Krankenhausclown für kranke Kinder anzufangen. Als solcher arbeitet er bis heute. Was er dabei erleben darf, ist unbezahlbar.