Offen gesagt Der Tag der neuen Arbeit
Am Freitag war Tag der Arbeit. Die alljährlichen Demonstrationen des Deutschen Gewerkschaftsbundes sind auch in Wuppertal ein wenig kleiner ausgefallen. Abstand ist das Gebot der Stunde. Das macht Demonstrationszüge und Kundgebungen luftiger, überschaubarer.
Dabei war die Feier zum Tag der Arbeit in der Nachkriegsgeschichte dieser Stadt vielleicht nie wichtiger als diesmal. Alle Welt redet davon, dass dieses widerliche Virus die Welt verändert. Das mag sein. Aber die Wahrheit ist, dass die Pandemie vermutlich nur einen Prozess beschleunigt, der ohnehin längst begonnen hat, zumindest, was die Welt der Arbeit angeht. Denn die droht schon seit einigen Jahren damit, eine andere zu werden. Sie wird digitaler, sie wird spezieller, sie wird vielleicht nicht weniger, aber für weniger Menschen mit herkömmlichen Ausbildungen bewältigbar. Das ist so, davon sind viele Experten restlos überzeugt. Und wieder einmal ist es das Bergische Land, das einen großen Teil der Zeche bezahlen muss, wie schon, als die Textilindustrie im Zeichen der Globalisierung das Weite suchen musste. Damals, bis in die 1990er Jahre hinein hat Wuppertal Tausende von Industriearbeitsplätzen verloren. Und nur verhältnismäßig kurze Zeit später steht nach mühseliger und längst nicht vollständiger Erholung der nächste schwere Nackenschlag ins Haus. Es hat rein gar nichts mit Corona zu tun, dass die Automobilbranche sich radikal verändern wird. Neue Antriebe in Fahrzeugen führen zu neuen Produktionsketten - und das Ganze digital. Fachleute gehen davon aus, dass das Bergische Land wieder zu den Regionen gehört, in denen durch Digitalisierungsprozesse in Produktionsabläufen die meisten Arbeitsplätze ersetzt werden können.
Arbeit verändert sich, der Arbeitsmarkt fragt andere Qualifikationen nach. Das ist eine Herausforderung, nein, das ist die Herausforderung, der sich Wuppertal in den nächsten Jahren wird stellen müssen.
Welche Antworten hat die Stadt, hat das Städtedreieck auf eine Entwicklung, die trotz oder wegen Corona an Tempo zulegen wird? Welche Strukturen im Bildungswesen, in Wirtschaftsförderung, Stadtentwicklung und Flächenmanagement müssen Kommunen wie Wuppertal, Solingen und Remscheid womöglich gemeinsam entwickeln, um nicht wieder das gesamte Terrain zu verlieren, das sie in den vergangenen Jahren unter großen Anstrengungen gewonnen haben?
Den Tag der Arbeit zu feiern, ist Routine geworden. Er ist die Stunde der Gewerkschaften, der Sozialdemokraten, die mit Tränen der Rührung in den Augenwinkeln an imaginären Lagerfeuern Arbeiterlieder zu singen lieben. Diesmal, unter den gespenstischen Umständen, unter denen er gefeiert wurde, sollten Gewerkschafter, Unternehmer, Stadtverwalter und Kommunalpolitiker diesen Tag der Arbeit in diesen so lähmenden Zeiten als Startsignal dafür interpretieren, neu über Arbeit nachzudenken, über den Wert von Bildung, über den Nutzen von Dienstleistung beispielsweise im Gesundheitswesen und in der Pflege, über Chancen, die im unvermeidbaren Wandel stecken, und über die Risiken, die damit verbunden sind. Es wird höchste Zeit.