Die Bildhauer der Backstube

Varresbeck: Im Café Kirberg arbeiten drei Generationen unter einem Dach – ganz nach alter Tradition.

Wuppertal. Es gibt einen Ort in Wuppertal, wo die Zeit stehen geblieben ist. Das Café Kirberg in der Varresbeck hat heute noch denselben Charme wie in den 60er Jahren - dieselbe Einrichtung übrigens auch. Das Café ist eine Hommage an die Vergangenheit und eine Oase der Ruhe in der immer hektischer werdenden Zeit. Und ganz ohne Zeitmaschine erreichbar.

Nicht nur die Einrichtung ist alt, auch die Rezepte. "Unser Stollenrezept ist von 1878", berichtet Siegfried Kirberg. "Da kommen auf zehn Pfund Mehl etwa acht Pfund Butter." Der 87-jährige Senior des Familienunternehmens legt Wert darauf, dass stets Butter in hausgemachten Torten und Kuchen kommt. Eine Überzeugung, die er auch an Sohn Erich (60) und Enkel Alexander (32) weitergegeben hat. "Margarine ist Mückenfett und Palmin ist Affenfett", sagt der Konditor mit Nachdruck. "Das kommt mir nicht in den Kuchen. und auch sonst nirgendwo rein." Nur in der Nachkriegszeit hat er ab und zu mit Margarine gearbeitet - notgedrungen, denn Butter war Mangelware.

Schon der Großvater und der Vater von Siegfried Kirberg waren Bäckermeister. Er selbst hat von 1936 bis 1939 das Konditorenhandwerk erlernt. Nach Kriegsende war er dann zehn Jahre lang Backstubenmeister in der Konditorei Bohle - die stand einst dort, wo heute das neue Saturn-Haus steht. "Die Konditorei sollte ich eigentlich übernehmen, aber Hertie kam dazwischen", erzählt der 87-Jährige. Eine neuen Laden fand er über einen guten Freund an der Stockmannsmühle, wo er 1959 sein eigenes Café eröffnete. 1979 kam die Filiale in der Varresbeck hinzu, die heute das Hauptgeschäft ist.

Das Mobiliar haben die Kirbergs aus dem alten Café mitgebracht. Dort, in der Varresbeck, stehen heute Großvater, Sohn und Enkel gemeinsam in der Backstube. "Mein Sohn hat noch bei mir gelernt, den Enkel haben wir zu einem sehr guten Kollegen geschickt", sagt Siegfried Kirberg. Groß geworden sind beide schon in der Konditorei. Und von gelegentlichen Kurzträumen über Feuerwehr- und Polizeiautos mal abgesehen, wollten beide immer Konditor werden. "Der Beruf ist wunderbar", schwärmt Erich Kirberg. "Man hat jeden Tag etwas anderes zu tun."

Und das kann schon einmal ganz schön außergewöhnlich sein. So wie die 100 Petit Fours in Form kleiner Panzer für einen Hauptmann a.D. oder 400 Trabbi-Petit-Fours. "Pralinen für Peugeot haben wir auch schon gemacht", sagt Erich Kirberg. "Der Stempel mit dem Löwen liegt noch unten in unserer Schokoladenwerkstatt." Selbst Dean Martin aus Marzipan entstand schon unter den Händen der Kirberg-Konditoren. Da sind die Torten mit aufgemaltem Aschenputtel schon fast "normal".

Überhaupt das Malen - "wir sind nocht nur Konditoren, sondern auch Kosmetiker", erzählt der 60-jährige Erich Kirberg. Marzipanfiguren werden mit der Lebensmittelfarbe regelrecht geschminkt. "Angefangen hat das mit Wattebäuschchen, dann kam pinselfertige Farbe, heute wird mit Airbrush gesprüht."

Gibt’s denn bei drei Generationen unter einem Backstubendach keinen Streit? "Manchmal ja", sagt Erich Kirberg. "Aber vieles ist auch Flachserei." Der Junior, Alexander Kirberg, gibt dabei genauso Contra wie der Großvater. An manchen Dingen scheiden sich eben auch die Zuckerbäckergeister. Zum Beispiel an der Molekularküche. "Das gab’s eben früher nicht, aber ich bin schon in der Ausbildung damit in Berührung gekommen", sagt Alexander Kirberg. "Meinem Großvater werde ich das nie schmackhaft machen können." Doch er lacht dabei. Denn Alexander Kirberg hat sich selbst der Tradition des Familienunternehmens verschrieben. Und das heißt eben klassisches Ambiente und klassische Rezepte.

Wobei: "Rumprobieren, das machen wir gern. Wenn andere auf den Tennisplatz gehen, gehen wir in die Backstube." Alle drei sind Konditoren aus Leidenschaft. "Sonst könnten wir den Beruf gar nicht machen." In der Freizeit entstehen in den Katakomben unter den Café Schokoladenkäfer, Pralinenkreationen und feinstes Zuckerwerk. "Das stellen wir schon gar nicht mehr aus, weil es nicht bezahlbar ist", sagt Siegfried Kirberg. "Aber wir wollen ja nicht aus der Übung kommen."

Fremde in der Backstube - für Kirbergs wäre das nur eine Notlösung. "Dann müssten wir einen Backplan aufstellen. So wie es jetzt ist, weiß jeder selbst, was zu tun ist. Und ansonsten machen wir, worauf wir Lust haben", sagt Erich Kirberg. Immer im Angebot ist das Grundsortiment an Torten. Den Rest der Arbeit bestimmen die Kunden mit ihren Bestellungen. Die kommen übrigens nicht nur aus Wuppertal, sondern auch aus Köln, Düsseldorf und dem gesamten Kreis Mettmann. "Von manchen unserer Stammkunden kommen heute schon die Enkel mit eigenen Kindern."

Die Kunden schätzen vor allem die "alte Schule" des Konditorhandwerks, das die Kirbergs bieten. "Ich habe ein einziges Mal in meinem Leben mit einer "Extra-leicht-Variante" einer Torte experimentiert", sagt Siegfried Kirberg. das kam bei den Kunden nicht gut an. "Von wegen Fitnesswelle", knurrt der Senior. "Die haben sich beschwert, weil sie zum Genießen herkommen, nicht zum Abnehmen." Heute ist es Alexander Kirberg, der hier und da Neues probiert. "Ich habe aus der Meisterschule einige Rezepte mitgebracht." Aber auch bei dieser Auswahl hat er darauf geachtet, nur die mit Butter auszusuchen.

Eine Spezialität, die er selbst liebt, ist die Musselin-Torte. Die wurde übrigens von einem Wuppertaler Konditor entwickelt. "Die Form dafür haben nur wenige klassische Konditoren. Wir natürlich auch", sagt Erich Kirberg. Sein großer Traum ist ein Tortendrucker. "Damit kann man Torten mit Fotomotiven bedrucken, das ist gerade ein Trend." Die Anschaffung ist für ihn nur eine Frage der Zeit: "Ich suche noch das richtige Modell." Der Kommentar seines Vaters: "Super. Der wird dann ganz selten genutzt und steht in der Ecke rum." Ernst meint er diesen Seitenhieb nicht - das gehört zum Flachs, wie er bei den Kirbergs an der Tagesordnung ist.

An Zubehör mangelt es den drei Konditoren ohnehin nicht. Zig Schokoladen- und Marzipanformen, dutzende Tortenringe und hunderte Dekortüllen lagern in der Tortenwerkstatt. "Das brauchen wir aber auch alles", sagt Alexander Kirberg. "Das Konditorhandwerk ist ein künstlerisches Handwerk", fügt sein Vater an. "In dem Job sind schon einige Maler und Bildhauer verloren gegangen."

Die drei Kirbergs lieben ihren Job so sehr, dass sie sogar auf Urlaub verzichten. "Meine Lebensgefährtin ist Brasilianerin. Die erzählt mir, wie schön es dort ist, dann brauche ich nicht zu verreisen", flachst Erich Kirberg. Und auch seinen Vater muss man zwingen, die Backstube zu verlassen. "Wir haben meinen Eltern mal zwei Wochen in Zingst an der Ostsee spendiert", erzählt der 60-Jährige. "Am ersten Tag erzählten sie vom Wetter, an zweiten fragten sie nach der Auftragslage und am achten standen sie in der Hintertür und sagten, es sei so langweilig gewesen." Da ist es schon gut, dass auch die 83-jährige Anna Kirberg fest in den Betrieb eingebunden ist. Sie steht hinter der Theke, kümmert sich um den Verkauf - und macht das Betriebsquartett komplett.