Dorian Gray blickt in menschliche Abgründe
Ausverkaufte Premiere im Talton-Theater bietet ein Fest für Augen und Ohren.
Prächtige Kostüme, tiefe Einblicke in menschliche Abgründe, hoch emotionaler Gesang - der „Dorian Gray“ des Taltontheaters ist ein Fest für Augen und Ohren. Bei der ausverkauften Premiere gab’s Jubel und Bravo-Rufe für Hauptdarsteller und Ensemble. Dass Oscar Wildes „Das Bildnis des Dorian Gray“ bis heute auf die Bühne gebracht oder verfilmt wird, ist nicht erstaunlich. Im Roman von 1891 geht es um das Altern - ein Thema, das jeden und jede betrifft - und den Wunsch nach ewiger Jugend.
Dieser Wunsch erfüllt sich für den von Robin Schmale verkörperten Dorian Gray. Wie im Märchen altert der attraktive Adlige nicht. Die Spuren des Alterns zeigt nur sein Porträt, das der Freund Basil Hallward (Andreas Beutner) gemalt hat. Betrachtet der junge Mann sein Ebenbild anfangs voller Selbstverliebtheit („Das ist meine Seele!“), kann er den Anblick später nicht mehr ertragen. Denn im Porträt werden allmählich die Spuren eines Lebens voller Exzesse und Verbrechen sichtbar. Auf diese Abwege hat Dorian Lord Henry Wotton gebracht. Auf der Talton-Bühne spielt David Meister ihn als wortgewandten Verführer in pechschwarzem Anzug - deutliche Anspielungen auf Mephisto in Goethes „Faust“.
Die satirischen Spitzen gegen die Reichen und Schönen, die in Wildes Roman stecken, greift Regisseur Jens Kalkhorst gerne auf. Es gibt Party-Szenen, bei denen das Ensemble munter zwischen Höflichkeitsfloskeln und versteckten Gemeinheiten wechselt. Mittendrin Lord Henry, der die Puppen der High Society buchstäblich tanzen lässt.
Noch mehr interessiert sich die Inszenierung aber für die Gruselelemente der Vorlage. Im Zentrum der Bühne steht das Porträt, das sich dank Maskenbildnerin Sandra Kremer in eine wahre Zombiefratze verwandelt. Dorians Gesicht bringt Bühnenbildner Rüdiger Tepel auch auf die beweglichen Kulissenelemente. Das in unzählige Bruchstücke aufgelöste Bild führt den Zerfall der Persönlichkeit vor Augen. Die optische Drastik passt allerdings nicht zur eingängigen Musik. Die Songs, die in die Handlung eingefügt sind, klingen weniger nach Horror-Story als nach klassischem Musical.
Den Schauspielern gelingt es dennoch, diese gegensätzlichen Stimmungen unter einen Hut zu bekommen. Glaubhaft führt Robin Schmale die Entwicklung vom naiven Jüngling zum skrupellosen Dandy vor. Am Ende steigert er sich beeindruckend hinein in die Verzweiflung über ein verpfuschtes Leben. Bis auf den coolen Lord Henry - David Meister sitzt die Rolle wie angegossen - stürzt er seinen Freundeskreis mit in den Abgrund. Andreas Beutner hat starke Auftritte als sensibler Künstler Basil („Basil Hallward ist das, wofür ich mich halte“, schrieb sein Autor Wilde einmal). Moritz Stursberg überzeugt als Freund, der zum Komplizen von Dorians Verbrechen degradiert wird. Sehr gut singt und agiert Karolin Blumenstengel. Sie ist Schauspielerin Sybil Vane, die dem vermeintlichen „Märchenprinzen“ Dorian als erstes zum Opfer fällt. Maurice Kaeber gefällt als Bruder, der sie um jeden Preis rächen will. Wem die klugen und selbstbewussten Damen in Oscar Wildes Komödien gefallen, ist bei Daniela Stibane an der richtigen Adresse. Als Lady Wotton amüsiert sie immer wieder mit witzigen Einwürfen.
“ Weitere Vorstellungen: 14. April, 20 Uhr, 15. April, 18 Uhr, 26. Mai, 20 Uhr, 27. Mai, 18 Uhr Tickets unter wuppertal-live.de taltontheater.de