Ein Einblick in das Seelenleben von Edvard Munch

Die „Schneeschmelze bei Elgersburg“ ist zurzeit in der Ausstellung „Aufbruch in die Moderne“ zu sehen.

Foto: Von der Heydt-Museum

Vertreter des Symbolismus lehnten die Detailtreue des Realismus und die verklärende Schwärmerei der Romantik ab. Sie sprachen der Welt und ihren Geschehnissen eine tiefere Bedeutungsebene zu. So auch der norwegische Künstler Edvard Munch. Wie sein berühmtestes Werk „Der Schrei“ gibt auch das winterliche Landschaftsbild „Schneeschmelze bei Engelsburg“ (1906), das sich seit 1968 in unserer Sammlung befindet, einen Einblick in das Seelenleben des Malers.

Das Bild ist zurzeit in unserer Ausstellung „Aufbruch in die Moderne“ zu sehen. Das Werk zeigt eine noch teilweise mit Schnee bedeckte Acker- und Wiesenlandschaft, die sich aus mehreren sanft geschwungenen Hügeln zusammensetzt. Durch die Fluchten der Felder und Wege ergibt sich eine außerordentliche Tiefenwirkung und ein beeindruckender Blick in die Weite. Aus den fließenden Konturen setzt sich die kahle Landschaft aus den Grundfarben Rot, Blau, Gelb und deren Komplementärfarben sowie Weiß zusammen.

Einzig das links im Hintergrund zu sehende Haus mit seinem roten Dach sticht in seiner Eckigkeit aus dem homogenen Fluss der Linien heraus. Munch ließ sich von einer Landschaft bei Elgersburg in Thüringen zu dem Bild inspirieren. Von November 1905 bis März 1906 lebte Munch während eines Kuraufenthalts in der beschaulichen Gemeinde, fernab seiner eigentlichen Heimat. Sie diente ihm als ruhiger Gegenpol zum pulsierenden Leben der Städte und dem schnelllebigen Umfeld seines Bekanntenkreises. Den Aufenthalt nutzte Munch, um seine zuvor in Norwegen begonnene Auseinandersetzung mit den Themen Landschaft und Natur fortzusetzen.

Angezogen von der Stimmung des beginnenden Frühjahrs mit fortschreitender Schneeschmelze sind von Munchs sogenannten „Elgersburger Schneebildern“ drei unterschiedliche Motive bekannt, wobei das Wuppertaler Exemplar eine doppelte Abschiedsstimmung widerspiegelt: nicht nur den Abschied von der dunklen Jahreszeit des Winters, sondern auch das Ende eines Aufenthalts in der natürlichen Atmosphäre des Thüringer Waldortes, wo das Leben beschaulicher verlief als es Munch bisher im Großstadtgetriebe gewohnt war.

Auch deshalb besitzt das Bild eine eigentümliche Spannung, die sich in Munchs expressiver Malweise mit seinen zum Teil in großen Flächen aufgetragenen Farben ausdrückt. Trotz der Ruhe wirkt es bedrohlich. Vielleicht zeugt die Spannung schon von der psychischen Verfassung des Künstlers, die 1908, kaum zwei Jahre später, in einen schweren Nervenzusammenbruch mündete.