Eine Hommage an die Lebensfreude
Tanztheater Pina Bausch begeistert mit „Masurca Fogo“, das Reiseeindrücke aus Lissabon verarbeitet, im Wuppertaler Opernhaus.
Ein Kuss ist ein Kuss — ist ein Kuss? Eine Frau liegt auf der Bühne, ein Mann will sie küssen, doch sie spuckt ihm einen Wasserstrahl ins Gesicht. Eine Frau will einen Mann küssen, der kleiner ist als sie — also winkt er einen deutlich größeren Mann herbei, der ihn hochhebt, so dass er nun von oben herab die Frau küssen kann. Mann und Frau gehen mit gespitzten Mündern aufeinander zu und haarscharf aneinander vorbei. Ihre Küsse schmatzen ins Leere. Szenen aus Pina Bauschs Stück „Masurca Fogo“, das die ewigen Themen Mann, Frau, Lust, Liebe und Dominanz auf spielerische und humorige Art in Szene setzt. So wie das ganze, 1998 uraufgeführte Stück eine Hommage an das Leben und die Lebensfreude ist. Nach drei Jahren wird es vom Tanztheater Wuppertal Pina Bausch wieder im Opernhaus aufgeführt.
Auch in einer kleinen Hütte lässt sich wildvergnügt tanzen
„Masurca Fogo“ entstand in Zusammenarbeit mit der Expo Lissabon und dem Goethe-Institut Lissabon. Es gehört zu einer Reihe von Stücken Pina Bauschs, die auf Reisen ihren Anfang nahmen, verarbeitet die Eindrücke, die in der sinnlichen, sonnigen wie melancholischen Hauptstadt Portugals gewonnen wurden.
Das Tanztheater bietet wieder die typischen Tanzsoli mit ihren wiederkehrenden hastigen oder introvertierten Bewegungsabläufen, die den einzelnen Tänzern auf den Leib geschrieben sind, und eine wunderbare Tanzprozession, die zu Rumbaklängen zweimal anmutig und eng umschlungen über die Bühne wogt.
Persönliche Erzählungen rufen Erinnerungen an eindrucksvolle Verwandte, Lehrer oder an Lebensträume wach, die erhalten werden sollen. Es wird gelacht, um die Aufmerksamkeit des Publikums gebuhlt, lustvoll gestöhnt. Witze werden erzählt, (Alltags-)Erfahrungen in traurige, kantige, unangenehme, liebevolle oder sanfte Bilder umgesetzt. Beispiele: Blindes Vertrauen beweist eine Tänzerin, die sich rücklings in die Arme anderer Tänzer fallen lässt. Der Geschlechterkampf geht sprichwörtlich baden, wenn ein Mann (Andrey Berezin) eine Frau (Ophelia Young) in einer Wanne auf die Bühne schiebt und sie ihm aus den Tiefen ihres Schaumbades einen Teller zum Abtrocknen reicht.
Das Leben wird zum Fest, wenn das Ensemble in einer kleinen Hütte beengt und zugleich wildvergnügt tanzt. Oder wenn zwei Männer eine mit Wasser gefüllte Kunststofffolie zur improvisierten Wasserrutsche spannen, in der sich zwei Männer und zwei Frauen in Badekleidung laut jauchzend hin und her schleudern.
Die Bühne ist bei „Masurca Fogo“ ungewohnt klein, endet nach hinten in einem weißen, perspektivisch geschnittenen Rahmen, durch den erstarrte Lava hereingequollen ist. Die Tänzer nutzen die felsige Begrenzung als Sonnenbank, als „Showtreppe“ zur Bühne, rennen oder springen dagegen an, tänzeln oder schreiten anmutig hinab oder hinauf. Doch damit nicht genug: Peter Pabst nutzt den gesamten Bühnenraum mit den Akteuren als Leinwand, auf die er immer wieder Videos mit Musikern, Tieren einer Meeresbrandung oder anderen Reiseeindrücken projiziert.
Und die Musik? Die kommt bei einer Hommage an eine portugiesische Stadt nicht ohne Fado, kapverdische Klänge, portugiesische Trommelmusik, aber auch Tango, brasilianische Walzer und diverse Percussion-Musik aus. Hinzu gesellt sich das ein oder andere Poplied — zum Beispiel eine Streichquartett-Version von Kraftwerks „The Model“. Grandios auch das Schlussbild — das dem Leben und der Erneuerung huldigt: Zu einer Version von „The Air that I breath“ (The Hollies) liegen die Tänzer paarweise auf dem Boden, tauchen ein in eine Projektion von sich in Zeitraffer öffnenden Blütenknospen. Bis eine Frau aufsteht, das Leben weitergeht. Das Publikum beendet den Abend mit stehenden Ovationen.