Wuppertaler Geschichte Eine kurze Atempause bis zur nächsten Krise
Wuppertal · Detlef Vonde von der Bergischen VHS über die Leistung des Barmer Arbeitsamts im Jahr 1919/1920.
Ein Merkmal der viel zitierten „Schwellenzeit“ zu Beginn des 19. Jahrhunderts war die Auflösung der ständischen Gesellschaftsordnung. Durch die Einführung der Niederlassungs-, Gewerbe- und Berufswahlfreiheit wurde „Arbeit“ künftig eine Sache des „Marktes“. Gleichzeitig sorgte das Ende der Abhängigkeitsverhältnisse auf dem Lande („Bauernbefreiung“) für eine gewaltige Migrationswelle und diese „spülte“ jetzt die Menschen vom Land in die Städte, wo sie sich eben das erhofften, was sie im Zuge der Kapitalisierung der Landwirtschaft verloren hatten: Arbeit in den neuen Betrieben und Fabriken. Aber Stadtluft machte nicht unbedingt frei, sondern auch arm, krank, arbeitslos oder alles zusammen. In dem Maße, wie sich dort die ehemaligen Schutzfunktionen der Zünfte auflösten, fielen Massen von Handwerkern und neuen Fabrikarbeitern in bittere Armut. Das brachte gewerbliche Arbeitsvermittler auf den Plan, die für bloße Informationen über offene Stellen oftmals horrende Gebühren verlangten und auch erhielten. Dieser chaotisch ungeregelte Arbeitsmarkt veränderte sich im Verlauf der wirtschaftlichen Hochkonjunktur ab der Mitte des Jahrhunderts. Die 1890er Jahre bis zum Beginn des Ersten Weltkrieges waren eine Phase der beinahe flächendeckenden Vollbeschäftigung, allerdings mit regionalen Schwankungen. Stellenvermittlungen sollten jetzt den Arbeitsmarkt „regeln“, agierten als sogenannte „Arbeitsnachweise“ und folgten nach eigenem Selbstverständnis dem Prinzip der „Gemeinnützigkeit“ – getragen von bürgerlichen Wohltätigkeitsvereinen oder von Gewerkschaften. Der „freie Arbeitsmarkt“ sollte es also richten. Wenn dieser jedoch „versagte“, ergaben sich daraus auch drastische soziale Lasten in den Städten und Gemeinden. Und diese ergriffen noch vor Beginn des Ersten Weltkrieges aus finanziellen Zwängen die Initiative: 1914 existierten rund 400 kommunale und gemeindeübergreifende „Arbeitsnachweise“. Die Lage bei Kriegsende veränderte dann alles.
Am 1. Dezember 1918 nahm in Barmen eines der ersten lokalen Arbeitsämter in Deutschland seinen Dienst auf. Die Gewerkschaften vor Ort reagierten damit in Zusammenarbeit mit dem Stadtrat und dem Oberbürgermeister auf eine eklatante Notsituation, die unter den großen Städten im geplagten Nachkriegsdeutschland ihres Gleichen suchte. Waren noch im Dezember in der Stadt Barmen knapp 8000 Menschen erwerbslos gemeldet, so stieg diese Zahl bereits im Januar 1919 auf rund 12 500 und erreichte im April mit mehr als 17 000 Arbeitslosen ihren Höhepunkt. Das war ein deprimierender Spitzenwert im gesamten rheinisch-westfälischen Wirtschaftsgebiet und vor allem eine der Folgen der Demobilmachung nach dem Ende des Weltkrieges, als von der Front zurückkehrende Soldaten wieder auf einen Arbeitsmarkt drängten, der jedoch die notwendige Zahl an Arbeitsplätzen einfach nicht hergab.
Von den rund 26 000 eingezogenen Wuppertaler Soldaten verloren knapp 5000 ihr Leben an der Front. Den Rest aber, so er denn überhaupt arbeitsfähig, also nicht kriegsversehrt war, zog es zurück in die Vorkriegsberufe, wenn diese denn noch existierten. Die ehemaligen Soldaten verdrängten dort vor allen die Frauen, welche im Verlauf der Kriegsjahre die Arbeitskraft der eingezogenen Männer ersetzten. Auf dem Höhepunkt der Krise war also jeder dritte Arbeitsfähige in Barmen faktisch arbeitslos. Perspektivlosigkeit machte sich breit im Tal.
Immerhin gelang es dem neuen Arbeitsamt, das unter der Aufsicht von Arbeiter- und Soldatenrat sowie der Stadtverordnetenversammlung stand, im Laufe des Jahres 1919 diese Extremsituation einigermaßen zu mildern: Unter anderem durch gezielte Erwerbslosenunterstützung und die Vergabe öffentlicher Arbeiten, etwa im Straßen- und Wohnungsbau.
Der Finanzaufwand für die Kommune war trotz der Beteiligung des Staates beträchtlich. Die Arbeitslosen selbst mussten Anpassungen der Unterstützungszahlung regelmäßig durch öffentlichen Druck erkämpfen. Ein eigens gegründeter „Arbeitslosenrat“ organisierte im Frühjahr 1919 spektakuläre Massendemonstrationen. Die Entspannung und Lösung der Krise aber kam im Herbst 1919 schließlich von außen, als die Probleme der Rohstoffversorgung durch die friedensbedingte Aufhebung der Wirtschaftsblockade weitgehend gelöst wurden und die neu entfachte, jetzt massenhafte Nachfrage nach Konsumgütern auf den Arbeitsmarkt durchschlugen. Man ging optimistisch ins neue Jahr 1920. Eine nur kurze Atempause bis zur nächsten Krise – der Hyperinflation von 1922.