"Erinnern eröffnet Einsichten"
Bei der Gedenkfeier für die Opfer des Nationalsozialismus stellten Studenten am Sonntag viele aktuelle Bezüge her.
Vor dem Berliner Reichstagsgebäude erinnert ein Mahnmal an 96 Abgeordnete, die von Nationalsozialisten ermordet wurden. „Das Mahnmal erinnert nicht nur an damals, es ist auch Mahnung, heute genau hinzusehen“, sagte Lea Luise Müller gestern bei der Veranstaltung zum Gedenken an die Opfer der Nationalsozialismus. Dabei verwies sie unter anderem auf die Entwicklungen in Polen und der Türkei. Wie ihre Kommilitonen setzte sie das Erinnern an die Opfer und aktuelle Entwicklungen in Bezug zueinander.
Geschichtsstudenten der Uni gestalteten diesmal die Gedenkveranstaltung in der voll besetzten Citykirche Elberfeld. Ausgehend von je einem Bild hielten sie Kurzvorträge zu verschiedenen Aspekten, immer wieder mit Bezügen zu Wuppertal. Dazwischen verlas Younus Laghzaoui die Namen von Wuppertalern, die in der Zeit des Nationalsozialismus getötet wurden. Eingerahmt von Musik gab der Nachmittag den Zuhörern viele Anstöße zum Nachdenken. Die bedankten sich mit viel Applaus.
Den aktuellen Stellenwert solcher Veranstaltungen bekräftigten Oberbürgermeister Andreas Mucke — „Wir müssen für unsere Werte einstehen“ — und Unirektor Lambert T. Koch: Erinnern sei „ein Weckruf, neuen gefährlichen Entwicklungen entgegenzutreten“.
Das bestätigte Ulrike Schrader von der Begegnungsstätte Alte Synagoge, die das Programm mit den Studenten erarbeitet hatte: Heute gebe es gesichertes Wissen über den Holocaust. Dieses Wissen sei aber auch Verpflichtung.
Der sind die Studenten nachgekommen: Max Peters griff die Wuppertaler Gewerkschafts-Prozesse auf. Das Mahnmal der Künstlerin Ulle Hees vor dem Landgericht dazu erinnere an die Opfer von damals „und daran, welchen Wert eine Gesellschaft hat, in der Gewerkschaften und andere ihre Forderungen frei aussprechen können.“
Franz Philipp Rutz befasste sich mit der Verfolgung politischer Gegner durch die Nazis, Felix Theusner mit der Indoktrination schon der Kinder. Claire Lammers erinnerte an die Planung der systematischen Ermordung der Juden bei der Wannsee-Konferenz.
Christoph Beicht zeigte das Foto eines Koffers — er gehörte Anneliese Cohn, einer jungen Wuppertalerin, die 1941 vom Bahnhof Steinbeck aus deportiert wurde. „Das Bild gibt dem Gedenken eine Geschichte“, erklärte er. Und mache deutlich: „Die Deportationen haben hier begonnen.“
Wie man sich in die verfolgten Menschen hineinversetzen könnte, hat sich Franziska Djawanshiri gefragt. Zugang fand sie über Gedichte — sie verlas je eines von Ilse Blumenthal-Weiss und Felix Pollack.
Dass Sinti und Roma erst spät als Opfer anerkannt wurden, thematisierte Sibel Koc. Dana Thiele erinnert an die sogenannten „Asozialen“. Als solche galten unter anderem Obdachlose und Bettler. Die Studentin forderte, auch dieser Menschen zu gedenken, „die stumm geblieben sind“.
Dass Warnungen vor dem Neonazismus durchaus nötig sind, machte Bastian Steinhauer deutlich. Er erinnerte an zahlreiche Opfer der letzten Jahre, darunter die des NSU und den 54-Jährigen, der vor dem Autonomen Zentrum niedergestochen wurde.
Das Gemälde „Der Flüchtling“ von Felix Nußbaum nutzte Pierre Shirvan als Aufhänger: Das traurige Bild eines zusammengesunkenen Mannes an einem Tisch mit einem Globus erinnert an Menschen, die vor den Nazis flohen und die, die fliehen wollten, aber keine Aufnahme fanden. Die Erinnerung an sie müsse uns „sensibel machen und milde stimmen“ für die, die heute auf der Flucht seien: „Erinnern eröffnet Einsichten.“