Boxen Gualtieris WM-Triumph in der alten Heimat

Wuppertal · Vincenzo Gualtieri besteigt nach klarem Punktsieg in seiner Geburtsstadt den Thron des Verbandes IBF und wird in der Uni-Halle frenetisch gefeiert.

Überglücklich: Vincenzo Gualtieri nach starkem Kampf mit dem WM-Gürtel in Siegerpose.

Foto: Otto Krschak

Schon Sekunden vor dem letzten Gong stand die Uni-Halle, erfüllt von frenetischen „Cenzo, Cenzo“-Rufen. Und Vincenzo Gualtieri, um den sich hier alles drehte, tänzelte triumphierend um seinen geschlagenen Gegner Esquiva Falcao herum. Alle wussten: Der WM-Titel ist dem „Jong“ aus Wuppertal, der mit 30 Jahren nach der Box-Krone des renommierten Weltverbandes IBF greift, nicht mehr zu nehmen. Die historische Dimension – einen deutschen Boxweltmeister hatte es seit 2016 nicht mehr gegeben, im Mittelgewicht seit 2014 nicht mehr, und die Zeiten eines Henry Maske sind fast 30 Jahre her, wurde anhand des Medienaufgebots deutlich. Auch wenn der Boxabend von Gualtieris Arbeitgeber Agon Sports „nur“ bei Fight 24 TV im Pay-TV übertragen wurde, interessierten sich plötzlich auch ARD und NTV für Gualtieri und seine Geschichte.

In Oberbarmen aufgewachsen lebt der inzwischen mit Frau und Kind auf Mallorca – wie seine Agon-Kollegen im Umfeld des Gyms von Boxstallinhaber und Sport-Enthusiast Ingo Volkmann. Nach dem Kampf war es ihm erst einmal wichtig, neben Trainer Franquis Aldama und der Agon-Familie seine Eltern Luigi und Raffaela sowie die Geschwister Rosaria, Salvatore und Francesco in die Arme zu schließen. Man merkte, welche Anspannung da abfiel. Auf diesen Kampf und seinen leicht favorisierten Gegner hatte sich Vincenzo Gualtieri akribisch vorbereitet. Mit seinem Trainer hatte er den 33 Jahre alten Brasilianer, der mehr als 200 Amateurkämpfe bestritten, 2012 Olympia-Silber geholt hatte und in 30 Profikämpfen unbesiegt geblieben war, perfekt analysiert. Den K.o.-Qualitäten Falcaos setzte er von Beginn an Beweglichkeit und eine gute Deckung entgegen, entwand sich immer wieder geschickt, wenn er sich in die Ringseile drängen ließ und startete Gegenangriffe.

Immer wieder konterte Vincenzo Gualtieri gegen Esquiva Falcao blitzschnell, schickte den Brasilianer in Runde zwei auch auf die Bretter.

Foto: Otto Krschak/OTTO KRSCHAK

Axel Schulz: Niederschlag in Runde zwei ist der Knackpunkt

Das führte schon nach wenigen Sekunden der zweiten Runde zu einem durchschlagenden Erfolg. Nach einem Haken unter Falcaos Deckung hindurch ging der in die Knie und wurde angezählt. „Das hat den Kampf komplett gewendet“, fand Box-Promi Axel Schulz, der als Co-Kommentator des Pay-TV-Senders Fight 24 TV in der Halle war. Clever boxend bot Gualtieri seinem Gegner, der sich nach dem Niederschlag wieder berappelte und mit scheinbar unverminderter Vehemenz anstürmte, wenig Angriffsfläche. Nach einem Tiefschlag Gualtieris musste Falcao in Runde sieben zum zweiten Mal auf die Knie, reklamierte mit schmerzverzerrtem Gesicht Absicht beim Gegner, was zu einer Bestrafung Gualtieris geführt hätte. Doch der Ringrichter sah diese Absicht nicht und unterbrach den Kampf nur so lange, bis Falcao wieder stand. Noch nie hatte der über zwölf Runden gehen müssen, seinen letzten Kampf vor mehr als einem Jahr bestritten. Und in der Tat wurde – je länger der Kampf dauerte – immer deutlicher, dass Gualtieri gewinnen würde. Der hatte zwar in Runde sieben eine kleine Platzwunde an der rechten Augenbraue abbekommen, die stellte aber im weiteren Verlauf kein Problem dar, und der Wuppertaler wirkte bis zum Ende konditionell voll auf der Höhe. Das Urteil der drei Punktrichter war eindeutig: Zwei mal 116:110, einmal gar 117:109 für Gualtieri. Dessen Entwicklung als Profiboxer, der er 2015 damals unter den Fittichen von Enfant Terrible und Boxlegende Graciano Rocchigiani geworden war und die sich seit seiner Übernahme ins Team von Agon Sports 2018 beschleunigt hatte, war erneut deutlich zu erkennen.

1600 Zuschauer und ein
Kompliment für Wuppertal

Entsprechend glücklich war sein „Chef“ Ingo Volckmann. „Mehr geht nicht“, sagte dieser, nachdem an diesem Abend alle seine sechs Kämpfer gewonnen hatten, es darunter mit dem Italiener Etinosa Oliha im Mittelgewicht der IBO einen weiteren Weltmeister gab. Ebenfalls siegreich: Martin Houben, trainiert von ASV-Coach Kevin Günther, der auch Gualtieri einst unter seinen Fittichen hatte. Es sei richtig gewesen, den Kampf nach Wuppertal zu vergeben, „schließlich kommt Vincenzo von hier“, so Volckmann. 1600 verkaufte Karten waren zudem ein sehr gutes Ergebnis. Allein die Familie Gualtieri hatte mehrere hundert Verwandte und Freunde aus ganz Deutschland mitgebracht und auch der ASV Wuppertal kräftig getrommelt, wie dessen Box-Abteilungsleiter André Vogel überwältigt sagte. Sogar von Boxstalllegende Wilfried Sauerland, der seine Wurzeln in Wuppertal hat, habe es aus der Ferne per SMS Glückwünsche gegeben, so Vogel.

„Ich freue mich unheimlich für die Familie Gualtieri, aber auch für Wuppertal. Das zeigt, welche Kraft der Sport auch für die Stadt haben kann“, sagte Jörg Wolff, der den Boxer seit 2018 persönlich und mit der damalige „Sportstadt“ unterstützt und beharrlich daran gearbeitet hat, einen Kampfabend mit Gualtieri nach Wuppertal zu holen. 2020 wäre es erstmals fast so weit gewesen, damals machte Corona einen Strich durch die Rechnung. Doch im vergangenen September gelang es erstmals. Nun die Steigerung und Krönung. Wieder halfen Wolff & Co im Orgateam mit.

Vincenzo Gualtieri hatte zunächst nur eine Beschreibung für seine Gefühle: „Unbeschreiblich.“ Am Morgen danach gibt es dann Fotos, wie er selig und mit leicht bepflastertem rechten Auge im Hotelbett den WM-Gürtel im Arm hält. Für die erste Titelverteidigung darf er sich den Gegner nun selbst aussuchen. Aber daran muss der Wuppertaler Weltmeister im Moment noch nicht denken, sondern darf den Augenblick genießen.