Wuppertaler Kultur „Ideen kommen auch im Sitzen“
Karl Otto Mühl über sein Schreiben im Laufe der Zeit.
Wuppertal. Seit 84 Jahren schreibt und veröffentlicht Hans Otto Mühl, der „General-Anzeiger“ druckte schon 1932 seine erste Geschichte auf der Kinderseite. Mühl wurde renommierter Autor, ist mittlerweile 93 Jahre alt und schreibt immer weiter. In seinem jüngsten Buch „Aus dem Hinterhalt“ (Brockmeyer-Verlag, 124 S., 11,90 Euro) versammelt er 23 Erzählungen mit trockenem Humor.
Herr Mühl, woher kommen Ihre Geschichten?
Karl Otto Mühl: Das habe ich alles so erlebt und nur geringfügig zugespitzt. Neulich ging ich spazieren und dachte so vor mich hin: „Merkwürdig, du schreibst wenig Erfundenes.“
Kommen Ihnen die Ideen fürs Schreiben vorwiegend beim Spazierengehen?
Mühl: Die kommen auch im Sitzen, ich habe im Ideensammeln ja Übung. Ideen müssen nur im ruhigen Fahrwasser angeschwommen kommen, dazu gebe ich ihnen Gelegenheit.
Hatten Sie die Geschichten lange in der Schublade?
Mühl: Die meisten sind aus den vergangenen Jahren. Die Geschichte vom geständnissüchtigen Bodo ist wohl schon über 20 Jahre alt. Ihn treffe ich heute noch manchmal, er arbeitet ehrenamtlich bei der Diakonie — er büßt also.
Wie viel schreiben Sie am Tag?
Mühl: Zwei, drei, vier Stunden. Die äußeren Aktivitäten wie Rumlaufen und Autofahren lassen ja nach. Fit halte ich mich aber schon.
Wie denn?
Mühl: Mit Trampolin, Hantel und Ergometer. Ich mache jeden Tag ein Programm.
1987, quasi mit der Rente, sind Sie freier Schriftsteller geworden. Schreiben Sie seitdem anders?
Mühl: Das ist ein merkwürdiges Phänomen. Meine 13 Theaterstücke habe ich alle vorher geschrieben, immer nur in 30 bis 60 Minuten pro Abend. Da war der Erfolg eigentlich am größten. Ich bin nicht einverstanden, wenn mir junge Kollegen sagen, sie könnten wegen des Schreibens nur einen Halbtagsjob machen. Es kommt auf die Intensität und Versenkungsfähigkeit an, finde ich. Wenn ich mich eine Stunde versenken kann, fehlt mir nichts. Ich brauchte aber wohl gewisse Rahmenbedingungen.
Welche denn?
Mühl: Ich habe eine Frau beschäftigt, die alles für mich getippt hat, die auch die Geburtstagswünsche und Überweisungen übernommen hat - sonst hätte ich das nicht gekonnt. Ich war ja für die Firma, bei der ich angestellt war, auch viel im Ausland unterwegs.
Aber Sie haben Ende der 80er das Genre gewechselt.
Mühl: Von 1973 bis Mitte der 1990er war ich Dramatiker. Dann klang das ab, war nicht mehr so gefragt. Mit 70 fing ich als Romanautor an — aber in dem Alter bauen die großen Verlage keinen Autor mehr auf. Deswegen bin ich seitdem überwiegend aufs Regionale beschränkt.
Finden Sie ständig neuen Erzählstoff?
Mühl: Ich gucke wohl länger hin als früher. Aber eigentlich muss man nur den Mut haben, aus seiner eigenen Perspektive raus- und in eine andere hineinzuspringen. Dann kann ich fast über jeden schreiben, den ich kenne.
Dann geht Ihnen der Stoff auch nicht so bald aus.
Mühl: Nein. Außerdem habe ich neulich eine dicke Mappe aus der Zeit meiner US-Kriegsgefangenschaft gefunden, da waren auch Theaterstücke drin. Die arbeite ich jetzt mit dem Geschichtsverein auf.