Ilka Federschmidt: „Wir wollen eine Kirche mit leichtem Gepäck sein“
„Wir haben viel, aber das, was wir haben, hat uns“, sagt die Superintendentin über ihre evangelische Kirche.
Wuppertal. Bei vielen ihrer Glaubensgenossen sind die Wunden noch nicht verheilt. Jede geschlossene, jede abgerissene Kirche ist eine Narbe auf der Seele der Protestanten in Wuppertal. Zuletzt traf es die evangelische Kirche an der Goerdelerstraße in Vohwinkel. Und Ilka Federschmidt weiß sehr genau, was das für die Gemeindeglieder bedeutet hat. Dennoch ist die Superintendentin für den Kirchenkreis Wuppertal davon überzeugt, dass es der richtige Weg ist, Gebäude aufzugeben, wenn die Zahl der aktiven Gläubigen deren weiteres Nutzen wirtschaftlich schwierig oder unmöglich macht. „Wir brauchen Räume, um uns zu treffen. Wir sind nicht darauf angewiesen, aber sie sind eine Hilfe.“
Ilka Federschmidts Umgang mit dem Rückzug ihrer Kirche aus der unmittelbar sichtbaren Wahrnehmung wirkt auf das erste Hören überraschend pragmatisch, berechnend, geschäftsmäßig. Dann erinnert die 51 Jahre alte Pfarrerin an eine Geschäftsführerin, an jemanden, der Zahlenkolonnen miteinander vergleicht und so lange organisiert, bis Soll und Haben ausgeglichen sind. Doch der Eindruck täuscht. Ilka Federschmidt ist eine leidenschaftliche Kämpferin für ihre Kirche.
Die christlichen Kirchen sind unter Druck geraten. Die Zahl ihrer Mitglieder sinkt, stagniert, und die Gotteshäuser sind in der Regel nur noch an Heiligabend wirklich gut besucht. Die allgemeine Abkehr vom Glauben trifft die Religionsgemeinschaften hart. Unvorbereitet trifft sie die Wucht, mit welcher der Islam versucht, in der westlichen Welt Fuß zu fassen. Dieser Entwicklung stehen viele Menschen auch in Wuppertal vielleicht ängstlich, zumindest aber fragend gegenüber. Sie suchen Orientierung. Aber können Kirchen auf dem Rückzug diese Orientierung geben?
„Wo bleibt ihr? Das ist auch unsere Frage“, sagt Ilka Federschmidt. „Wir haben die Kirche den Profis überlassen. Die betrachten Kirche als Dienstleistung.“ So will die Superintendentin das evangelische Christentum nicht interpretiert sehen: Dienst ja, aber Dienstleistung im Sinne von Abarbeiten hält sie für falsch.
Genauso falsch findet sie, von den Kirchen die Rettung des Abendlandes zu erwarten, wenn es denn überhaupt gefährdet sein sollte. „Gott hat nicht gesagt, dass das christliche Abendland ewig besteht.“ Er hat dazu vermutlich überhaupt nichts gesagt.
Für Federschmidt sind es nicht Äußerlichkeiten, die Wert und Sinn eine Kirche ausmachen. Deshalb sieht sie es auch nicht als Problem an, dass nach und nach immer wieder Gotteshäuser aus dem Stadtbild gerissen werden. Aber erklärt werden müsse das schon, sagt sie. „Wir haben uns an diese Herbergen so gewöhnt, dass wir uns in sie zurückgezogen haben.“ Der neue Weg ihrer Kirche führt nach draußen, er führt ins Gespräch. „Das Zurücklassen von Gebäuden schafft auch Freiraum.“,
Diesen Freiraum sollen die Gläubigen nutzen, an die Seite der Profis zu treten, nicht den Funktionären allein das Wort zu überlassen. „Ihr alle seid zu Zeugnis und Dienst in der Welt berufen“, zitiert Federschmidt. Zeugnis ablegen vom Glauben an Jesus Christus und dienstleisten im Sinne seiner Worte — das ist die evangelische Kirche, wie Ilka Federschmidt sie sich wünscht. „Während Muslime mit ihrer Religion immer wieder für Aha-Effekte sorgen, können viele von uns nicht mehr sagen, wofür ihre Kirche steht.“
In dieser Hinsicht setzt die Superintendentin Hoffnung auf das Reformationsjahr 2017, in dem sich die Thesen Martin Luthers zum 500. Mal jähren. Doch das Jubiläum soll nicht nur der Rückschau dienen, sondern erinnern und mahnen. „Wir brauchen wieder Erneuerung.“ Und Ilka Federschmidt ist überzeugt davon, dass die Protestanten auf einem guten Wege sind. „Ich erlebe unsere Kirche in dieser Phase des Suchens stärker“, sagt sie. Manchmal sei Selbstbeschäftigung richtig, um wieder zu Kräften zu kommen.
Diese neue Stärke braucht aus der Sicht Federschmidts weder Gebäude noch Symbol. Sie braucht Überzeugung und den Willen, Glauben zu teilen. Eine solche Kirche kann auf Kirchen verzichten. „Wir haben den Menschen eine Herberge zu geben, aber dafür brauchen wir kein Haus aus Stein“, sagt die Superintendentin. „Wir wollen eine Kirche mit leichtem Gepäck sein.“