Interview: „Kinder lernen am besten durch eigene Erfahrungen“
Die Erzieherin Claudia Diehl rät zu mehr Gelassenheit in der Kindererziehung.
Wuppertal. Viele Eltern gehen sehr vorsichtig mit ihren Kindern um. Das kann die Entwicklung hemmen, findet Erzieherin Claudia Diehl vom Familienzentrum Löwenzahn an der Lichtscheider Straße. Im Interview erzählt sie, warum ihre Vorschulkinder reiten lernen, wie viel Verantwortung Kinder brauchen und wie ängstlich eine Erzieherin sein darf.
Frage: Frau Diehl, ihre Vorschulkinder besuchen in der letzten Projektwoche die Reitpädagogin Vera Schmitz. Wie wichtig ist es, dass Kinder die Welt außerhalb des geschützten Raumes ’Kindergarten’ kennenlernen?
Claudia Diehl: Immer mehr Kinder wachsen sehr behütet auf, Eltern nehmen ihnen die Entscheidungen ab, dadurch lernen sie nicht, selbstständig mit der Realität umzugehen. Bei Star Wars sind sie Experten, in der echten Welt sieht das leider anders aus.
Wie wirkt sich das aus?
Diehl: Viele Kinder können sich kaum unbeobachtet entwickeln, sie werden morgens zum Kindergarten gebracht, nachmittags wieder abgeholt. Etwa, als wir heute am Familienzentrum auf den Bus gewartet haben, spielten ein paar Kinder am Rand des Bürgersteigs, und ignorierten die Gefahren des Verkehrs. Den Eltern möchte ich keinen Vorwurf machen, oft fehlt die Zeit, etwa wenn beide berufstätig sind - da müssen die Kinder zu oft nur funktionieren. In vielen Bereichen hören die Kinder nur noch, was falsch ist. Aber etwas falsch machen, dürfen die Kinder zu selten.
Salopp gesagt: Die Kinder fassen nicht mehr auf die heiße Herdplatte, sondern hören nur noch davon.
Diehl: Kinder lernen am besten durch Erfahrungen. Trotzdem achten wir alle darauf, dass Kinder gesund und munter bleiben.
Sie lassen ihre Kinder reiten, 2013 gingen Sie mit den Vorschulkindern zum Kanufahren auf der Wupper. Sind Sie und ihre Kolleginnen entspannter in Sachen Kinderschutz und -erziehung?
Diehl: Wir sind unterschiedliche Erzieherinnen, aber natürlich haben wir eine Verantwortung, dass die Kinder nachmittags gesund und munter nach Hause dürfen. Aber wir haben alle eine gewisse Gelassenheit gelernt. Wir ermutigen die Kinder, auf ihre Art und Weise Erfahrungen zu machen. Wenn etwas schief geht, sagen wir ’Das war jetzt doof’ und erklären ihnen, warum die Situation gefährlich ist.
Wird die Welt nicht auch gefährlicher, wenn auch nur subjektiv, weil sich die Warnungen zum ’Bösen Onkel’ über soziale Medien deutlich schneller verbreiten?
Diehl: Mein Kind kam letztens von der Schule wieder und erzählte von ,dem bösen Russen’, der Kinder in Wuppertal Organe herausoperiert. Das beschäftigt und macht den Kindern Angst. Da müssen wir einen Mittelweg finden. Wir dürfen diese Geschichten nicht ins Lächerliche ziehen, aber auch nicht zur völligen Sorglosigkeit raten.
Soll ich mein Kind also den ganzen Tag alleine lassen und es alle Erfahrungen selber machen lassen?
Diehl: Früher wuchsen Kinder auf, ohne das Eltern ihr Kind ständig im Blick hatten. Wir müssen die jungen Menschen auch auf Situationen vorbereiten, mit ihnen drüber reden. Ein Thema sind sexuelle Übergriffe, wir müssen zeigen, dass nicht jeder, der Kinder anspricht, etwas Gutes von ihnen möchte. Darauf müssen Erzieher und Eltern die Kinder sehr gut vorbereiten. Auch weil wir wissen, dass wir nicht immer bei den Kindern sein können — gerade nach dem Wechsel auf die Grundschule.