Tanzfilm-Festival Berlinale-Atmosphäre in Wuppertal

Tanzfilm-Festival „Dancescreen und Tanzrauschen“ mit Film über Pina Bausch eröffnet.

Festivalteam und Film-Crew nach der Premiere. Vorne rechts: Marc Wagenbach.

Foto: Fries, Stefan (fri)

Als Pina Bausch 2009 starb, habe jeder etwas von ihr bekommen. Marc Wagenbach, damals Assistent der Choreographin beim Tanztheater, bekam einen Wollschal. Mit dem steht er Jahre später im Wald, drückt ihn, wäscht ihn in einem Bach, ringt mit seinen Gefühlen, Erinnerungen. Die Eingangsszene des Films „Touched“ eröffnete am Donnerstag eine 35-minütige, intensive und emotionale Auseinandersetzung mit Pina Bausch und zugleich das Festival „Dancescreen und Tanzrauschen“ im Rex-Filmtheater.

Der rote Teppich fürs große Filmfestival-Feeling fehlte zwar noch, gleichwohl war deutlich Berlinale-Atmosphäre im Kino am Kipdorf zu spüren, das bis Sonntag zentraler Ort der Veranstaltung ist. Die zeigt 67 Filme, die sich auf verschiedene Art und in unterschiedlicher Länge dem Thema Tanz nähern. Wie in Berlin gibt es auch in Wuppertal Preise und Preisgala (am heutigen Samstagabend) und ein internationales Publikum, das in einer deutsch-englischen Sprachmelange begrüßt wurde. Im Unterschied zur deutschen Hauptstadt aber standen angenehm aufgeregte Veranstalter auf der Bühne vor der Kinoleinwand, um das Festival zu eröffnen. Dabei mussten sie sich immer wieder selbst vergewissern, dass der große Festival-Traum wahr geworden ist, Menschen, die von der Schönheit des Tanzfilms beseelt sind, von überall her in Wuppertal zusammenzubringen, um gemeinsam zu feiern, so Marc Wagenbach, der dem Vorstand des Vereins Tanzrauschen angehört. “We live future now“ (Motto des Festivals), forderten er und Vereinsvorsitzende Kerstin Hamburg auf.

Von Finnen, Australiern
und Wuppertal

Das Festival betont seine Internationalität: Durch den Abend führte der gebürtige Australier Paul White, der von 2011 bis 2017 dem Pina Bausch Tanztheater angehörte und Tanzrauschen-Mitglied ist. Er holte vom Tanzrauschen-Partner, das in Wien beheimatete Internationale Music + Media centre (IMZ), seinen Präsidenten Arild Erikstad und seine Geschäftsführerin Katharina Jeschke auf die Bühne. Die schwärmten von der exquisiten Jury, der Filmfülle (216 Filme waren eingereicht und in Wien und Wuppertal gesichtet worden), den zu erwartenden Qualitätsfilmen sowie dem fantastischen Gefühl, das sie in Wuppertal empfinden.

Der Schirmherr des Festivals, Helge Lindh (MdB, SPD), steuerte eine launige Rede bei, die den Bogen weit spannte, um gleich zweifach beim Eröffnungsfilm zu enden. Dessen Regisseur Jukka Rajata-Granstubb ist wie der Wuppertaler Bundestagsabgeordnete, zumindest väterlicherseits, Finne. Allerdings, so Lindh, habe sein Vater sich so sehr der deutschen Gesellschaft angeglichen, dass beim Sohn davon nichts mehr angekommen sei. Das Festival mache ihn nun doch noch zum Kosmopoliten. Außerdem bekannte sich Lindh zu Pina Bausch, zu Tanz und Tanzfilm und zu Wuppertal. Tanz und Tanzfilm seien etwas Besonderes, nichts sei rein, alles sei Tanzrauschen.

„Touched“ ist ein poetischer Road-Dokumentarfilm, der außer Konkurrenz lief. Für Tero Saarinen, Leiter der Saarinen Company und Jurymitglied beim Festival, gab es keinen besseren, um das Festival zu eröffnen. Marc Wagenbach spürt darin seiner persönlichen Beziehung zu Pina Bausch nach, versucht Trauer, Schmerz und Ärger zu verarbeiten, den er bei ihrem plötzlichen Tod empfand. Er erzählt von dem Mädchen Philippine, das in den 50er Jahren in Solingen aufwuchs und dem Jungen Marc, der in den 80er Jahren in Wuppertal groß wurde. Wie er zu ihr fand, „ich wollte was von ihr lernen, weil ich wusste, ich könnte etwas über mich lernen“. Das Mädchen Mila Münster läuft wie ein Alter Ego der Kinder Pina und Marc durch den Wald, genießt die Freiheit der Bewegung. Er besucht Menschen, die in Wuppertal leben und Pina Bausch und ihre Tanzauffassung verinnerlicht haben. Da sind Jutta und Rainer Dollbaum und Hartmut Göhlich. Sie erinnern an die Anfänge in den 1970ern, als das Tanztheater die Gesellschaft empörte, erzählen und tanzen, in ihre Bewegungen versunken, die Kamera geht immer wieder ganz nah an sie heran. Der brasilianische Tänzer Milton Camilo, der durch Pina nach Wuppertal kam, beschreibt ihre moderne Sprache, die sie für Gefühle fand. Und Dagmar Beilmann vom Kommunikationszentrum „die Börse“ berichtet vom Eindruck des ersten Stücks, das sie sah, und wie wichtig es sei, dass es viele Menschen in der Stadt gebe, die in ihre Arbeit involviert waren.

Ihr Tod führte die eigene Verletzlichkeit vor Augen

Am Filmende erkennt Wagenbach, dass der Tod der Choreographin ihm seine eigene Verletzlichkeit vor Augen geführt habe. Er habe nicht schützen können, was er liebte. Wagenbach vergräbt sich unter Nelken. Die Blumen, die dem ersten Stück den Namen gaben, das er von Pina sah.

Ein bewegender eindringlicher Film zwischen Fiktion und Dokumentation, ein passender Auftakt für das Festival. Die Macher wurden auf der Bühne – wie bei der richtigen Berlinale – bejubelt.