Interview Der Kaiser fällte nach der Abdankung jeden Tag einen Baum

Wuppertal · Interview Historiker Dr. Arne Karsten über das Ende der Monarchie.

Arne Karsten ist Historiker.

Foto: Fries, Stefan (fri)

Am 28. November 1918 unterzeichnet Kaiser Wilhelm II. die Abdankungsurkunde und beendet damit die Monarchie im deutschen Reich.

Am 9. November 1918 floh Kaiser Wilhelm II. nach Holland ins Exil. Das besiegelte das Ende der Monarchie in Deutschland. Kam diese Abdankung eigentlich überraschend?

Arne Karsten: Noch Mitte September wäre ganz Deutschland aus allen Wolken gefallen, aber am 29. September war die Kriegslage so katastrophal, dass General Ludendorff unmittelbar darauf drängte, dass ein Waffenstillstandsangebot gemacht wird. Damit wurde deutlich, dass der Krieg verloren war. Diese Nachricht traf die Vertreter der politischen Parteien und die Öffentlichkeit wie aus heiterem Himmel. Bis dahin war man davon ausgegangen, dass die Kriegslage angespannt, aber keineswegs hoffnungslos war. Da überschlugen sich die Ereignisse. Es gab einen lawinenartigen Erosionsprozess im Hinblick auf die Autorität des Kaisers. Und als dann am 9. November 1918 Wilhelm nicht abdankte, sondern seine Abdankung von Reichskanzler Max von Baden bekannt gegeben wurde, kam diese Nachricht letzten Endes nicht mehr wirklich überraschend und wurde von der Öffentlichkeit nicht als Schock wahrgenommen. Der Schock war die Nachricht Ende September: der Krieg ist militärisch verloren, die Front nicht mehr zu halten.

Welche Ereignisse führten dann zur Abdankung von Wilhelm II.?

Karsten: Da muss man unterscheiden zwischen den tieferen Ursachen und Anlässen. Die Ursache war ohne Zweifel der verlorene Krieg. Das ist immer ein Moment, in dem jede Regierung und in diesem Falle die Regierungsform in die Krise gerät. Zumal, wenn es ein solcher, die gesamten Kräfte der Nation über vier Jahre bis aufs Äußerste beanspruchender Krieg war, wie der erste Weltkrieg. Anlass für die Abdankung war die Meuterei der Matrosen der Hochseeflotte, die von ihrer Führung in der militärisch ausweglosen Situation zu einem letzten Gefecht auf See geschickt werden sollte, um buchstäblich mit fliegenden Fahnen unterzugehen. Diese Meutereibewegung setzte sich in einem völlig erschöpften Heer sehr schnell fort und führte zu allgemeinem Aufruhr. Es ist jedoch mehr ein Zerbröseln einer Nation, die mit ihren Kräften am Ende war.

Was geschah mit dem Kaiser nach seiner Abdankung?

Karsten: Der Kaiser, der in den letzten zwei Kriegsjahren nur noch eine Schattenfigur war, vollzog die Abdankung von der Macht sehr ungeschickt und unglücklich. Er floh vom großen Hauptquartier im belgischen Spa ins neutrale Holland. Dort wurde er ein politischer Asylant und spielte nach dem 9. November keine Rolle mehr. Berühmt ist er geworden, weil er bis zu seinem Tod jeden Tag einen Baum fällte und in kleine Stücke sägte, eine physisch wahrscheinlich sehr gesunde Tätigkeit, die aber keine weitere politische Auswirkung auf Deutschland hatte. 1941 ist er dann in Dorn gestorben, also mehr als zwei Jahrzehnte nach seiner Abdankung.

»Uwe Blass ist Mitarbeiter des Uniservice Transfer der Universität. Das Interview ist Teil der Reihe „Jahr100Wissen“. Blass befragt Wissenschaftler über 100 Jahre zurückliegende Ereignisse. Arne Karsten ist Junior-Professor für Geschichte der frühen Neuzeit.