Serie Else Lasker-Schüler: Die Exilantin

2019 wäre Wuppertals berühmte Tochter 150 geworden. Die WZ widmet ihr eine Serie.

Else Lasker-Schüler auf einem der letzten Fotos, die von ihr entstanden sind. Aufgenommen wurde es in Jerusalem.

Foto: Else Lasker-Schüler-Gesellschaft

„Ich bin ein Bündel Wegerich“, schreibt Else Lasker-Schüler (ELS). Sie zitiert sich dabei selbst in mehreren Briefen, die sie um 1940 aus Jerusalem schreibt. Ihr Gedicht ‚Die Verscheuchte‘ gehört noch vor Brechts „Über die Bezeichnung Emigranten“ oder „Wir sind die Letzten“ von Hans Sahl in die vorderste Reihe lyrischer Verarbeitungen trostloser Exilsituationen: „Es ist der Tag im Nebel völlig eingehüllt, / Entseelt begegnen alle Welten sich – /Kaum hingezeichnet wie auf einem Schattenbild. / Wie lange war kein Herz zu meinem mild ... Die Welt erkaltete, der Mensch verblich.“ Das „Wegerich“-Poem endet mit der Klage: „Bald haben Tränen alle Himmel weggespült, / An deren Kelchen Dichter ihren Durst gestillt –/ Auch du und ich.“

Entstanden ist das Gedicht im Schweizer Exil, in Ascona. Doch zunächst wählte ELS einen anderen Titel: „Das Lied der Emigrantin“. Es ist kein fröhliches, sondern ein Klage-Lied. Denn Exil ist kein Spaß. Es ist Entwurzelung, bedeutet Verlust und Leid. Da tröstet es nur wenig, wenn sie in Zürich mit Teo Otto, dem genialen Bühnenbildner aus Remscheid, zusammentrifft und Platt kallt. Er hat das Bühnenbild für die Uraufführung ihres christlich-jüdischen Versöhnungsstücks „Arthur Aronymus“ am Zürcher Schauspielhaus gestaltet. Zu ihrem Entsetzen wird das Stück umgehend abgesetzt. Das Honorar ist dürftig.

Am 30. Januar 1933 waren die Nazis an die Macht gekommen. Sie regierten in Berlin, wo ELS unter kümmerlichen Umständen lebte und berühmt geworden war. Die Dichterin hielt es nur noch rund zweieinhalb Monate in der Hauptstadt aus. Am 19. April war sie über Basel in die Schweiz eingereist, ein Land, das sie in besseren Tagen ab 1917 besucht hatte.

Aber im Exil ändern sich die Chancen zu publizieren für fast alle Schriftsteller dramatisch. So auch für ELS, die in der Weimarer Republik ihre Lyrik und Prosa im „Berliner Börsen-Courier“, im „Berliner Tageblatt“ und in der „Vossischen Zeitung“ veröffentlichen konnte. In der Schweiz aber hat sie offiziell Schreibverbot. Zwar gibt es das „Israelitischen Wochenblatt für die Schweiz“ und die „Jüdischen Presszentrale Zürich“. Auch hat sie alte Kontakte zu Eduard Korrodi (1885–1955), dem langjährigen Feuilletonredakteur der „Neuen Zürcher Zeitung“. Er publiziert gelegentlich einen (früheren) Text der Jüdin. Doch das Zeilenhonorar ist dürftig. Die Geldnot verschärft sich. Die Existenzsorgen teilt sie mit den meisten Exilanten, auch die Isolation, die Einsamkeit, das Heimweh, die Verzweiflung. „Man ist ja nicht allein ein Emigrant, wenn man ein Emigrant ist. Daran setzt sich alle Schmach und Verlassenheit und alles Elend“, schreibt sie in einem Exilbrief 1935. 1939 war sie nach Palästina gereist, um von dort aus wieder ein Visum zu beantragen. Das aber wird ihr von den Schweizer Behörden verweigert. Der Zweite Weltkrieg war ausgebrochen. Palästina ist jedoch für Juden kein Exil.

Hier erhält sie erstmals seit ihrer Flucht eine regelmäßige finanzielle Unterstützung (von der Jewish Agency). Sie gründet die Vortragsvereinigung „Der Kraal“. In einem Sammelband erscheinen noch einmal ihre wichtigsten Gedichte. Mit einer versöhnenden Widmung: „Meinen unvergessenen Freunden und Freundinnen in den Städten Deutschlands – und denen, die wie ich vertrieben und nun zerstreut in der Welt, in Treue!“ Das Buch trägt den Titel eines ihrer berühmtesten Gedichte, geschrieben im Schweizer Exil:

Mein blaues Klavier/ Ich habe zu Hause ein blaues Klavier/ Und kenne doch keine Note./ Es steht im Dunkel der Kellertür,/ Seitdem die Welt verrohte./ Es spielten Sternenhände vier –/ Die Mondfrau sang im Boote./ – Nun tanzen die Ratten im Geklirr./ Zerbrochen ist die Klaviatur./ Ich beweine die blaue Tote./ Ach liebe Engel öffnet mir/ – Ich aß vom bitteren Brote –/ Mir lebend schon die Himmelstür,/ Auch wider dem Verbote.