Kolumne Empört euch! Und lasst uns gemeinsam empören!
Uta Atzpodien wünscht sich mehr Raum für Menschen.
„Empört Euch!“ begleitet mich seit Tagen, daheim und mit Blick in die Welt. Ich komme vom sechsten Stadtentwicklungssalon im Mirker Bahnhof und schlängle mich mit meinem Liebsten zwischen Autos und Häuserwänden hintereinander eingepfercht auf den Gehwegen die Wiesenstraße hoch. Ich frage mich: Warum mache ich das seit Jahren? Warum lasse ich es mir gefallen, noch nicht mal Raum zu haben, um nebeneinander auf Gehwegen zu gehen? Nachts laufe ich am liebsten mitten auf den Straßen der Nordstadt. Tagsüber ist das zu gefährlich. Warum nehme ich hin, dass häufig für Menschen so wenig Raum ist: zwischen parkenden oder fahrenden Autos, ob zu Fuß oder mit dem Rad unterwegs, für Erwachsene und erst recht für Kinder.
„Empört Euch!“ – uns allen durch Stéphane Hessels Kampfschrift vertraut – hatte der in Wuppertal aufgewachsene Michael Schulte von der Berliner Initiative „Changing Cities e.V.“ empfohlen, als er in Utopiastadt vergangene Woche beeindruckend vom „Volksentscheid Fahrrad“ sprach, von Mahnwachen für Verkehrsopfer und von der Mobilitätswende.
Jazzmusiker stehen mitten auf der Straße, auf der Avenida Paulista in der 17 Millionen-Menschenstadt in Brasilien. „Tänzer springen waghalsig auf Autos, als ob sie mit ihnen tanzen wollen und bespielen dann in bunten Kostümen ganze Straßen, interagieren und unterbrechen die Autokolonnen im Alltagsverkehr“, höre ich von meinem brasilianischen Freund Antonio Araujo, dem künstlerischen Leiter des gerade beendeten Internationalen Theaterfestivals in São Paulo, der sich von München aus bei mir meldet. Seine Theaterarbeit fasziniert mich seit Jahrzehnten.
2002 war Teatro da Vertigem in Köln bei „Theater der Welt“ in der Justizvollzugsanstalt Ossendorf zu Gast. Die Künstlergruppe prangert unverblümt gesellschaftliche Missstände in öffentlichen Räumen an. Jüngst wurde von der neuen Regierung Bolsonaro in Brasilien das Kulturministerium abgeschafft, Indios werden angegriffen, der Regenwald bedroht. Jetzt erst recht: Sie empören (sich) gemeinsam! Die Künstler in Brasilien zeigen Flagge, sind gesellschaftskritischer als je zuvor.
„Masolo“ bedeutet Dialog, Verständigung, Erzählung auf Lingala, der afrikanischen „Verkehrs- und Handelssprache“ der beiden Kongo-Länder.
Vergangenen Samstag war ich im Haus der Jugend auf dem Benefizkonzert „Lisali“ der feurig-lebendigen Jugendbrassband „Belakongo“. Sie arbeitet seit 2010 eng mit dem Zentrum „Espace Masolo“ in Kinshasa zusammen, das künstlerisches Schaffen und solidarisches Engagement miteinander verbindet, Straßenkinder, ehemalige Kindersoldaten und ausgestoßene „Hexenkinder“ betreut und ihnen zu einem Start in ein würdevolles Leben verhilft. Der Freundeskreis macht diese wertvolle Arbeit erst möglich und braucht dringend weitere kontinuierliche Unterstützer (www.espacemasolo.org).
Vergangenes Jahr war „Belakongo“ mit Punch Agathe auf dem Fidena Festival in Bochum. Punch Agathe ist eine riesige schwarze Puppe, die die Stuttgarter Managerin und Künstlerin Stefanie Oberhoff mit Menschen verschiedener Kontinente zum Leben erweckt hat. Auch andere Puppen, Nilpferde und weitere verrückte Gestalten treten auf. Bunt und lebendig, wie Filmsequenzen uns zeigen. Es kann so erfrischend sein, künstlerisch über den eigenen Tellerrand hinauszublicken! Ob Mobilitätswende oder soziale Gerechtigkeit: Lasst uns weiter gemeinsam empören!