Bauhaus Neues Bauen in den 1920er Jahren in Wuppertal
Das Bauhaus ist seines hundertjährigen Jubiläums wegen in aller Munde. Auf einer Busfahrt durch Wuppertal zeigen Experten auf, dass neues Bauen weit mehr ist.
Zunächst wird mit einem hartnäckigen Irrtum aufgeräumt: Einen Bauhausstil gibt es nicht, wohl aber das neue Bauen, das eher Ausdruck eines neuen Lebensstils ist, den ein neues, modernes Bürgertum Anfang des vergangenen Jahrhunderts entwickelte. Eine Bustour durch Wuppertal begab sich am Wochenende im Rahmen der Jüdischen Kulturtage auf seine Spuren im Stadtgebiet. Angefahren wurden Objekte, die in den 20er Jahren des vergangenen Jahrhunderts entstanden waren, und deren Bauherren, so es sich um Privathäuser handelte, Juden waren. Michael Okroy, Literatur- und Sozialwissenschaftler an der Bergischen Universität, und Sven Kuhrau vom LVR-Amt für Denkmalpflege im Rheinland, versorgten zirka 30 Teilnehmer mit interessanten Informationen.
Die Anfänge waren profan, entsprangen der Not. Die Wohnungsnot nach dem Ersten Weltkrieg erforderte viel, funktionellen Wohnraum. Unter Nutzung neuer Bautechniken wie des Stahlbetons wurden einfache, sachliche Häuser gebaut. Dass dieses neue Bauen zumeist mit der 1919 von Walter Gropius in Weimar gegründeten Bauhaus-Kunstschule gleichgesetzt wurde und wird, liegt vor allem an deren glänzender Marketingstrategie.
Nach dieser Klarstellung durch Sven Kuhrau wurde Haus Michel am Wall unter dem Aspekt des neues Bauens geprüft. Die durchgehenden, abgerundeten Fensterreihen, die die Belichtung der Kaufhauswaren im Inneren erlaubten und in ihrer Dynamik der werdenden automobilen Gesellschaft huldigten sowie vorgehängte Fassaden sprechen zwar eine moderne Sprache, ihr Architekt Emil Fahrenkamp aber war kein überzeugter Vertreter, sondern setzte nur die jeweils aktuellen Tendenzen um – so auch 1929/1930 am Wall.
Ein poetischer und
skulpturaler Bau
Höhepunkt der Tour war sicherlich das Bauhaus Fischer, ein liebevoll restauriertes, dreigeschossiges Gebäude an der Rudolf-Ziersch-Straße in Barmen, das 1926/27 für den Rechtsanwalt Walter Fischer errichtet wurde. Die rosa gestrichene Fassade mit ihren blaugrauen Festerrahmen entspricht dem Original, das nach den Plänen von Architekt Hans Heinz Lüttgen entstand. Es wurde vielansichtig und klimatechnisch klug gebaut. Die Hauptwohnseite ist nach Süden ausgerichtet, nach Nordwesten sind alle Nebenräume wie Bad, WC, Küche und das Treppenhaus untergebracht. Zugleich ist es ein poetischer und skulpturaler Bau, der mit seinen verschiedenen Ebenen an ein Schiff mit mehreren Decks erinnert, das nicht gewaltsam in die Natur hineingesetzt wurde, sondern ästhetisch darauf antwortete. „Ein großartiger Bau, dem man fast Unrecht tut, wenn man ihn dem Bauhaus zuordnet“, erklärte Kuhrau und machte auf den mit Klinkermauerwerk reliefartig verzierten Sockel, die scharrierten Betonplatten und die Fensterbänder aufmerksam.
Die Post am Platz am Kolk (aus den späteren 1920er Jahren) und das Fernmeldeamt an der Briller Straße von 1928 sind dagegen weniger Zeugen des neuen Bauens. „Sehr konventionell unterm Strich“, „eher expressionistisch“, lautete die Einschätzung des Fachmanns.
Das neue Bauen beförderte auch das flache Dach, das oft in mehrfacher, begehbarer Ausführung gebaut wurde. An der Schlieffenstraße ließ Rechtsanwalt Hugo Heineberg 1926 ein dreigeschossiges, verschachteltes Wohnhaus mit mehreren Flachdächern errichten. Das war bauphysikalisch zwar eine Herausforderung, kam aber des wegfallenden Dachstuhls wegen preiswerter, beförderte den Durchbruch der Einbauschränke und antwortete auf die Reformströmung der 20er Jahre, indem es den Wohnraum nach außen zu Sonne, Licht und frischer Luft öffnete. „Mies van der Rohe zog dann auch noch die Fenster bis zum Boden“, ergänzte Kuhlau. Das Ziegelmuster der Fassade aber spreche eher eine expressionistische, der burgartige Hauptbau eine althergebrachte Sprache. So gesehen sei das Haus eher schlichtweg ein konventioneller Mauerwerksbau, der überdies des Regens wegen schon bald mit Schiefer verkleidet wurde.
Die Größe des mehrgeschossigen Zeilenbaus mit seinen Flachdächern und Durchfahrten ist beeindruckend. 1928 bis 1930 wurde die ehemalige Vertriebszentrale der Einkaufsgenossenschaft „Vorwärts – Befreiung“ an der Konsumstraße gebaut, um dort industriell Lebensmittel herzustellen. Der Gebäudekomplex sollte „einen großen Anspruch erfüllen, Kommunalpalast sein“, erklärte Kuhrau. Dafür wurden dem modernen Eisenbetonfachwerksbau mit Blendmauerwerk zwar durchgehende horizontale Gesimse, aber auch konventionelle Repräsentationselemente wie ein Portikus verpasst. Die Nationalsozialisten, die bekanntlich den Neoklassizismus bevorzugten, konnten mit dem Bauwerk wenig anfangen, veränderten es aber auch nicht. Kuhrau: „Nicht alle Gebäude bekamen ein Dach verpasst, gerade im Industrie- und im privaten Bau konnten Architekten des neuen Bauens auch in den 30er Jahren weiter bauen.“ Sehr zu Freude derjenigen, die sich dafür auch heute noch interessieren.