Premiere Lachen und Fürchten mit Kroetz
Wuppertaler Schauspiel inszeniert „Der Drang“ im Theater am Engelsgarten.
Er liebt alle seine Figuren, auch wenn er derb mit ihnen umgeht, sie Höllenqualen erleiden lässt, das Publikum gleich mit. Und weil im Theater wie im Leben Tragik und Komik nah beieinander liegen, kommt am Ende ein bitterböses und humorvolles Stück heraus. „Der Drang“ hat es Franz Xaver Kroetz genannt, eine Umarbeitung seines Stücks „Fritz“ aus seiner revolutionären Phase, die er in den 70er Jahren durchlebte. In Wuppertal feiert es am 5. April im Theater am Engelsgarten Premiere. Die erste Kroetz-Inszenierung seit mindestens 20 Jahren verspricht Schauspielintendant Thomas Braus, „wenn nicht die erste überhaupt in der Stadt“.
Kroetz wurde 1946 in Niederbayern geboren, wuchs in München auf, arbeitete als Kraftfahrer und Pfleger, erlernte das Schauspielhandwerk in München und Wien, ist Autor von mehr als 60 Theaterstücken. In den 70er Jahren wurde er durch seine sozial engagierten, Tabus brechenden Stücke bekannt, war kurzzeitig Deutschlands meistgespielter Autor, erzählt Barbara Noth, die in Wuppertal die Dramaturgie verantwortet. In den 80er Jahren verlegte er sich auf Schauspiel und Fernsehen, machte als Baby Schimmerlos in der Serie „Kir Royal“ oder als Kolumnist der „Bild“ von sich reden. Feierte in den 90er Jahren mit „Der Drang“ (1994) ein Comeback als Dramaturg. Ein Stück, das das bürgerliche Milieu und seine Widersprüche auseinander nimmt – zugleich „viele Themen anspricht, die auch heute noch aktuell sind“, verspricht Braus.
Um was geht es? Der wegen Exhibitionismus verurteilte Fritz wird aus dem Gefängnis entlassen. Er kommt bei seiner Schwester Hilde und ihrem Mann Otto unter, die eine Friedhofsgärtnerei betreiben. Vierte im Bunde ist die Angestellte Mitzi. Während Fritz seinen Drang medikamentös unter Kontrolle hält, bringt er die drei in allerhöchste Bedrängnis, da sein Erscheinen ihre sexuellen Fantasien ins Unendliche steigert. Mitzi versucht ihn zu verführen, scheitert und bändelt mit Otto an, der sich als Mann herausgefordert fühlt. Es kommt zum Krach mit Hilde und zum Mordanschlag am offenen Grab. Noth: „Fritz ist ein Ausgestoßener, ein Außenseiter, der wie eine Billardkugel von der Seite anrollt. Eine ideale Reflektionsfläche. Und tatsächlich kocht es im Treibhaus mächtig hoch.“ Entsprechend geht es im Stück auch um die allgegenwärtige Suche nach Identität, um Männlichkeit und Weiblichkeit. Und um Themen wie Angst und das Bedürfnis nach Sicherheit.
Mit „Der Drang“ erfindet Kroetz in gewisser Weise das Volksstück neu, erklärt Noth. Er setzt weder auf Folkore noch auf Brauchtum, geht vielmehr kunstvoll mit dem (bayerischen) Dialekt um. Wählt zugleich eine sehr direkte Sprache. „Er wünscht sich, dass die Schauspieler auf ihre eigene Weise mit dem Dialekt umgehen.“ In Wuppertal sind dies die Bayerin Philipine Pachl, der Schweizer Stefan Walz, der Schwabe Konstantin Rickert und die Norddeutsche Maresa Lühle, die Braus zu einem Gastauftritt nach Wuppertal zurückgeholt hat. Die vier werden auch gemeinsam singen - die Musik spielt in der Inszenierung eine wichtige Rolle. Dabei werden sie in einer natürlichen wie überzogen bayerischen Kulisse mit Trachten, unechten Körperformen und echter Erde agieren.
Kunstvoller Umgang mit
dem (bayerischen) Dialekt
Ansonsten arbeiten die Wuppertaler die poetische Seite des Stücks heraus, die Sehnsucht nach Schönem, nach Harmonie, nach Verbindung. Maresa Lühle: „Gerade, wenn man im Dreck liegt, ist diese Sehnsucht wichtig.“ Auch wenn sie letztlich nicht erfüllt wird, weil die Menschen sich eher an Verletzungen gewöhnen und abstumpfen, als ihr Leben zu ändern. Weil sie nicht in der Lage sind, den Anstoß der Billardkugel für sich zu nutzen. Fritz verlässt die Gärtnerei, das Ehepaar bleibt, der Form halber, samt frustrierter Mitzi zusammen. Das sei zwar tragisch, aber auch komisch, findet Lühle. Wie heiß es so schön? Je böser desto lustiger.