Tanztheater Pina Bausch Wuppertal Von Mensch, Nilpferd und dem Leben

Tanztheater Pina Bausch begeistert mit dem Stück „Arien“ in der Oper Wuppertal.

Tanz als Zweikampf: Jonathan Fredrickson und Breanna O’Mara in „Arien“.

Foto: Copyright Oliver Look

Es ist die Geschichte über die unmögliche Liebe zwischen einem Nilpferd und einer Tänzerin. Es ist zugleich die Geschichte über die Dinge, die Menschen Menschen antun. Erzählt in prallen, kontrastreichen, erschütternden und tief traurigen Bildern. In einer Welt ohne Struktur und Ordnung, ohne Halt und Sicherheiten, mit Fragen, die der Zuschauer beantworten soll. Am Donnerstag wurde „Arien“ nach 2017 erstmals wieder in Wuppertal aufgeführt und vom Publikum bejubelt. Pina Bauschs Stück aus dem Jahr 1979 war und ist – nicht zuletzt dank des grandiosen Bühnenbildes von Rolf Borzik – ein wichtiger Baustein in ihrem Tanztheater-Schaffen.

Das Theater ist baden gegangen, hat jede Bodenhaftung verloren. Die bis zur rückwärtigen Brandschutzwand offene Bühne steht unter Wasser – ein riesiges, zumeist knöcheltiefes Bassin. Für die Garderoben der Tänzer ist nur am Rand Platz. Dort sitzen oder stehen sie – am Anfang wie am Ende des Stücks – scheinbar zwanglos, ein jeder ist mit sich selbst beschäftigt, macht in Bademantel oder Unterwäsche Sprech- oder Singübungen, wirft sich in Pose, sucht sein Selbst im Spiegel des Schminktisches, der die Wahrheit jedoch verzerrt zurückwirft. Spiegel, die von überall das chaotische Geschehen reflektieren, die Bühne in einen flirrenden Schwebezustand versetzen.

Alles ist nur Theater, nichts ist, wie es zu sein scheint, die eben noch dramatisch verzerrte Mine blickt plötzlich mit einem verschmitzten Lächeln ins Publikum. Das präzise kalkulierte Tohuwabohu offenbart Ängste und Nöte, übertreibt sie ins Groteske.

In diesem Stück dominiert die schauspielerische Stärke des Ensembles. Seine unverkennbaren Persönlichkeiten prägen das Geschehen – von der gurrenden Nazareth Panadero bis zum bewusst schülerhaft intonierenden Michael Strecker. Die für Pina Bausch so typischen Bewegungswiederholungen kommen seltener zum Zuge. Ebenso die so beliebten Polonaisen, zu denen sich die Tänzer nur kurz zusammenfinden. In „Arien“ erzählen sie Witze, singen Kinderlieder, spielen „Reise nach Jerusalem“, geben staunend Laute von sich, reden durcheinander, rufen, brüllen. Wirklich getanzt wird weniger – ein Standardtanzpaar wirkt deplaziert. Das Stück ist zugleich körperbetont. Die immer wieder durchnässten Kleider verweigern den Körpern den Schutz. Die Tänzer verharren in Starre, waten vorsichtig durchs schwere Nass oder laufen bis zur Erschöpfung. Es wird gehüpft, geplantscht, oft allein, immer wieder zu zweit – Paartanz mündet oft genug im Zweikampf.

Paartanz mündet oft
genug im Zweikampf

Der vergebliche Versuch echter Annäherung steht für Pina Bauschs Lebensthema Geschlechterkampf. Zärtliche Gesten werden nicht erwidert, ein Kuss ist Machtausübung, man zieht an den Haaren, tritt auf Füße, schlägt auf Hände. Auch Tänzerin und Nilpferd kommen nicht zueinander. Das behäbig durch die Szenerie stampfende Wesen erinnert die Menschen daran, dass sie mit dem Paradies ihre Unschuld verloren haben, nicht mehr eins sind mit sich und der Welt.

Breanna O’Mara schlüpft erneut in die einst von Josephine Ann Endicott geprägte Rolle, während diese wieder die Proben der Neueinstudierung leitet. Die Rolle einer einsamen Frau zwischen Verzweiflung und tiefer Traurigkeit.

„Arien“ will verstören. Das Lachen wird in seine Laute zerlegt und mechanisch ausgestoßen, es ist aufgesetzt, hysterisch, unecht. Die Kleidung wird nicht nur der Nässe ausgesetzt, sie wird wild kombiniert, achtlos übergestreift, die Gesichter mit grellen Farben entstellt. Aus der schweigsamen Trauergemeinde schält sich ein Weitspuckwettbewerb heraus. Die festliche Tafel löst sich Tänzer für Tänzer in ein hektisches Bewegungsdurcheinander auf.

Entsprechend die Musik, die zwischen Comedian Harmonists, Beethoven, Mozart, Schumann und italienischen Arien hin und her hüpft. Dazwischen unendlich lang wirkende Stille. Pina Bausch wollte, wie sie einmal sagte, „alles zeigen, was Menschen miteinander machen oder gemacht haben, zu verschiedenen Zeiten“. Stimmt.