Kolumne des Freien Netzwerks Kultur Der Tanz auf dem Vulkan
Wuppertal · Dieser Herbst verspricht Besorgniserregendes im Übermaß, und die Festivalitis, die boomende Kreuzfahrerei und das Herumfliegen zu Superstränden und Megaevents sind nur kleine Teile eines Tanzes auf dem Vulkan. Die Kolumne des Freien Netzwerks Kultur.
Schnell, schnell – beeilen Sie sich mit dem Lesen, denn in vier Monaten ist Nikolaus schon wieder vorbei. Noch bräunen wir uns hingegen am Drehspieß des sommerlichen Grills, in unserer Region diesmal ohne Superhitze und etwas zu oft gut begossen. Ein nicht enden wollendes Open-Air-Festival für Nacktschnecken aller Art, die uns jede Menge Erntezeit im Gemüsebeet ersparen: Zeit, die sich bestens mit Veranstaltungsbesuchen verbringen lässt, zum Beispiel beim vierten Kultursommer im Freibad Mirke, der uns mit sieben Shows und Konzerten den wunderbaren Ort in Erinnerung ruft, dessen Planung zur Wiederherstellung voranschreitet. Die einst international bekannte Crossovercombo Uncle Ho spielte zur Eröffnung ein fabelhaftes letztes Unplugged-Konzert für Zartbesaitete, bevor sie Ende September in der Börse wieder unter Starkstrom stehen wird. Dann wird schon Herbst sein; bis dahin ist noch etwas Zeit für Vorfreude, doch die Schulferien kriechen leider nicht im Schneckentempo dahin; das Sommerloch im LOCH ist bereits beendet, am 16. 8. startet das Programm des INSEL e. V. und am 23. gehts auch im ort wieder los. Da stellt sich nur die Frage nach der Motivation des Publikums, bei global aufziehendem Gewittergewölk dennoch regelmäßig das Haus zu verlassen.
Das legendäre Metal-Festival Wacken war heuer in nur viereinhalb Stunden genauso restlos ausverkauft wie Parookaville, Deichbrand und überhaupt viele dieser sommerlichen Begeisterungs-Events, und auch die Bayreuther Festspiele, die seit zwei Wochen und noch bis zum 27. August götterdämmern, haben mit dem Zulauf traditionell gar kein Problem. Von den Gigakonzerten für Swifties und Adelies ganz zu schweigen: Da unwettert das immer weiter aufreißende Ungleichgewicht in den privaten Kulturhaushalten, in denen im normalen Alltag schon manches zweistellige Ticket viel zu teuer erscheint. Eine Lyriklesung für zehn Euro? Dafür bekomme ich ein Dutzend Nackensteaks! Nach den Haltungsformen für Kunsttreibende – Stall, Freiland, Außenklima – sei bei den schleichend in Frage gestellten Kunstbudgets besser nicht gefragt. Die beständige und mühevolle Arbeit der kleinen und lokalen Veranstalter kann in diesem Wettbewerb der überwältigenden Großgefühle kaum auf ihre Kosten kommen. Dabei entsteht nur hier am Rand, also in der Vielfalt des sogenannten Randes, das Neue, noch Unbekannte, Progressive, Nachwachsende und Vorwärtstreibende der Künste, das uns das anspruchsvolle Miteinanderleben und Weiterdenken lehrt.
Massenveranstaltungen
für das Geschichtsbuch
Am Tag, da das Festspielhaus Bayreuth die Tore schließt und die Walküren in Agonie zurückfallen, beginnt die neue Spielzeit der Wuppertaler Bühnen mit einer Führung durchs Opernhaus. Am Samstag darauf geht es mit dem Sinfonieorchester hinaus auf den Laurentiusplatz, auch das fast ein Festspiel, das hoffentlich am folgenden Sonntag mit brisanten Landtagswahlen nicht zum Restspiel wird. „Wir werden sie jagen“, hatte der Wadenbeißer Gauland einst verkündet und damit nicht eine konkrete Person, sondern alle gemeint, die noch Wert auf Menschlichkeit und eine Kultur des Demokratischen legen. Die fiktive Entgegnung – „Wir werden uns nicht jagen lassen“ – ist schnell gesagt, doch wird sie von uns allen auch konsequent genug gelebt? Dieser Herbst verspricht Besorgniserregendes im Übermaß, und die Festivalitis, die boomende Kreuzfahrerei und das Herumfliegen zu Superstränden und Megaevents sind nur kleine Teile eines Tanzes auf dem Vulkan. Eines Tages wird diese Massenveranstaltung im Geschichtsbuch stehen. Die freie Kunst und Kultur halten derzeit noch dagegen. Halten Sie mit?
Ihre Meinung bitte an: kolumne@fnwk.de