Kultur Die Firma in uns
Torsten Krug über die Freiheit der Kunst.
Vergangene Woche verwandelte hier meine Kollegin Tine Lowisch ihre Wohnung in eine Art Bühne. Können wir nicht in die Welt, erschaffen wir die Welt eben in unseren vier Wänden. Modelleisenbahnen haben ja derzeit Hochkonjunktur. Die Welt als Modell, greifbar, veränderbar, wie schön wäre das! Es werde Nacht! Ich knipse die Zimmerbeleuchtung aus, und die kleinen Lämpchen in jedem Haus leuchten heimelig. Im Bahnhof Neustadt ist eines kaputt.
Heute wird es noch innerlicher: Viele von uns sind in den vergangenen Monaten Expertinnen und Experten für das Schreiben von Anträgen geworden. Die Buchhaltung in uns macht schon lange Überstunden. Wir weisen uns gegenseitig auf neu aufgelegte Programme hin, Bewerbungsrunden zu Diversität, Demokratie oder Nachhaltigkeit, ergebnisoffen oder projektbezogen, mit Pandemiebezug oder ohne. Das innere Management drängt, sich doch bei dieser oder jener Ausschreibung zu melden, das Thema beschäftige einen doch schon lange, jedenfalls so was Ähnliches, warum es nicht wagen? Fällt Dir nichts ein? Es gilt das Windhundprinzip.
Das Füllhorn an Fördermöglichkeiten ist natürlich ein Segen. Vor allem Kulturorte können mitunter längst notwendige Sanierungen oder Anschaffungen angehen und sich fit machen für einen noch immer erhofften Neustart. Die laufenden Kosten zahlt das freilich nicht. Und bei den sogenannten Soloselbstständigen? Sie ringen ums finanzielle Überleben und schicken den ausübenden Künstler in sich in Kurzarbeit.
Die Pointe ist, dass viele von uns mit jedem Förderantrag um ihr weggebrochenes Grundgehalt konkurrieren, Kompensation für ausgefallene Konzerte, Lesungen, Inszenierungen oder Ausstellungen. Ein zwiespältiger Vorgang. Künstlerische Vorhaben entstehen weniger aus einem inneren Bedürfnis, gehen weniger von uns selbst aus, sondern wir richten uns nach gesetzten Anforderungen, Fristen, Rahmungen und Themen. Die notwendigen digitalen Techniken darf unsere IT-Abteilung installieren.
Wir berühren damit ein uraltes Thema: die Freiheit der Kunst. Johann Sebastian Bach, der liebe Gott der Musik, hatte kein bisschen Freiheit. Er schrieb, was von ihm verlangt wurde, ein unfassbares Pensum. Was er dann allerdings schrieb, sprengte jeden Rahmen und ist bis heute, als habe das Universum selbst mit Tönen gespielt.
Oder Joseph Beuys, unser Jubilar: Hätte er mit einem Antrag Erfolg gehabt? Mit einem ausgeglichenen Kosten- und Finanzierungsplan? Hätte er sich so ausdrücken können, dass eine Jury verstanden hätte, was sie da unterstützen? Hätten sie ihn für förderwürdig erachtet? Möglicherweise ist alles eine Typfrage. Sehr viele, beispielsweise alle, die der (deutschen) Sprache nicht so mächtig sind, fallen durch das Raster der Antragstellung.
Auch ein finanzbuchhalterisches Talent, Disziplin und Zeitmanagement gehören zum Portfolio der Antragskunst. Oder ist es eine Frage des Perspektivenwechsels? Ich möchte eine große Theaterproduktion zum Thema X machen, suche mir einen Ort, Partnerinnen und Partner, ein Ensemble, eine (hoffnungsfrohe) Jahreszeit – und begebe mich dann auf die Suche nach passenden Förderquellen und Stiftungen? Dazu gehören Ausdauer und Gelassenheit.
Doch so sollte es sein. Vielleicht gehen wir noch einen Schritt weiter: Wir schaffen uns selbst ein Förderprogramm, auf das wir schon immer gewartet haben. Wir klopfen an, werden
eingelassen, erfüllen alle Kriterien, und die Tür schließt sich höflich hinter uns. Hoffentlich nicht für immer.
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