Kultur Uwe Neubauer gestaltet einen Fünf-Stunden-Lesemarathon
Der Rezitator las im Hof des Glücksbuchladens aus einem Stapel Bücher vor.
Von Daniel Diekhans
Stundenlang vorlesen. Sich keine Pause gönnen und höchstens einmal tief durchatmen. Was nach Lesemarathon klingt, ist für Uwe Neubauer ein Vergnügen. Die Erfahrung hat der Wuppertaler Schauspieler sowieso. Seit zwei Jahrzehnten findet er mit Lesungen sein Publikum. Sein Repertoire reicht dabei von romantischen Gedichten bis zu den Tagebüchern von Kurt Cobain. Er trägt allein oder im Team vor, gern auch mit musikalischer Begleitung.
Seine Fünf-Stunden-Sessions hat Neubauer wiederholt im Glücksbuchladen an der Friedrichstraße durchgezogen. Der Rezitator spricht von einem „spielerischen Format“. Denn die Zuhörer hätten die Freiheit „zu kommen und zu gehen, wie sie das wollen“. Klar, dass diese Freiheit unter Corona-Bedingungen einen passenden Rahmen braucht. Also fand Neubauers Lesung mit Texten von Henry Miller nicht drinnen, sondern im Hof hinter dem Buchladen statt. Zwischen den Stühlen hatte Veranstalterin Kerstin Hardenburg jeweils einen Sicherheitsabstand gelassen. Bei Veranstaltungsbeginn um 19 Uhr verteilte sich ein Dutzend Gäste auf den Innenhof.
Der Vorleser breitete großzügig Bücher und Blätterstapel auf einem Tisch aus. Aus Anlass von Millers 40. Todestag hatte er eine Textauswahl getroffen, die Klischees sicher umschiffte. Verfasser obszöner Schriften – diesen Ruf hat sich der Autor mit dem „Wendekreis des Krebses“ (1934) eingehandelt. Neubauer dagegen sieht in dem Amerikaner mit deutschen Wurzeln nicht den Erotiker, sondern „einen Seher“. „Er hat ein Gespür für die gesellschaftlichen Phänomene des 20. Jahrhunderts.“
Breiten Raum nahm entsprechend Millers Kritik am „American way of life“ ein. Wer nicht von „Reinlichkeit und Tüchtigkeit“ träume, gelte nicht als Amerikaner. Eindringlich gestaltete der Schauspieler auch die Auseinandersetzung des radikal-individualistischen Erzählers mit überkommenen Glaubenssystemen: „Vergesst Jesus, Buddha, Mohammed und all die anderen!“
Immer wieder in die Runde blickend, lud Neubauer dazu ein, dem Gedankenstrom zu folgen. Man konnte es tun, aber es war kein Muss. Zwischendurch gingen Gäste an den Büchertisch und lasen für sich in Millers Werken. Andere gingen nach Hause. Dafür kamen neue Zuhörer hinzu.
Als es zu regnen begann, mussten Vorleser wie Publikum flexibel sein. Kerstin Hardenburg bat alle in den Glücksbuchladen. Die Stühle wurden ins Trockene geholt und auch hier mit gebührendem Abstand aufgestellt. Weiter ging’s.
Wer den Lesemarathon verpasst hat, muss nicht lange auf die nächste Open Air-Lesung mit Uwe Neubauer warten. Am 7. August liest er im Hof des Glücksbuchladens Literatur der zwanziger und dreißiger Jahre – Kästner, Tucholsky und Ringelnatz. Live-Musik kommt von der Liedermacherin Gerhild Bitzer. Der Eintritt kostet 10 Euro.