"Indien": Schnitzel, Sehnsüchte und Selbstschutz
Die bergische Version berührt immer noch — auch zehn Jahre nach der Premiere.
Wuppertal. Unterschiedlicher könnten sie kaum sein. Jörg Fellner (Stefan Otto) legt jedes Wort auf die Goldwaage — förmlich, nachtragend und mit einem leichten Hang zur Schwermut. Uwe Bösel (Dirk Michael Häger) hingegen bringt anscheinend nichts aus dem Gleichgewicht. Obszön ist er, ignorant und ordinär.
Was passiert, wenn ein Feingeist und ein Klotz aufeinander treffen, zeigt sich im Kleinen Schauspielhaus. Zehn Jahre sind vergangen, seitdem Häger und Otto in „Indien“ zum ersten Mal auf Dienstreise gegangen sind. Nun melden sie sich zurück — mit einem Abend, der nach wie vor berührt, womöglich noch mehr als bei der Premiere vor einem Jahrzehnt.
Denn während die Geschichte dieselbe geblieben ist, haben sich die Schauspieler weiterentwickelt: Längst sind aus den einstigen Bühnen-Durchstartern echte Theater-Routiniers geworden. So freute sich das Publikum im Kleinen Schauspielhaus gespannt auf die Wiederaufnahme — und wurde nicht enttäuscht.
Es ist weniger das Lokalkolorit, das in der bergischen „Indien“-Adaption das Salz in der Suppe ist. Es ist der allgemein trockene Humor, der das Drama von Josef Hader und Alfred Dorfer auszeichnet und die Geschichte um zwei ungleiche Gastronomie-Tester würzt. Zwar sorgen Anspielungen auf Wuppertal und seine Nachbarorte für kleine Schmunzler am Rande. Im Großen und Ganzen geht es jedoch nicht um Lokalspezifisches, sondern um ein grundsätzliches Phänomen: Hinter so mancher harten Schale steckt eine weiche Seele, und wer andere grob beleidigt oder von sich stößt, will sich mitunter nur selbst schützen.
So ist Bösel nur vordergründig oberflächlich. Der Rührei-mit-Speck-Typ gibt sich nach außen hin zäh, tief im Herzen jedoch ist er — nach langer Ehe — verbittert. Fellner, frisch betrogen von seiner Freundin, geht es nicht viel besser. Beide sind eigentlich einsam. Als widerwillig zusammenarbeitende Gasthaus-Inspekteure starten sie ihre Reise in gegenseitiger Verachtung. Am Ende werden sie Freunde, aber durch Fellners plötzlichen Krebstod genauso schnell wieder getrennt. Der Zuschauer wird indes zum Beobachter zweier Männer, die bemüht witzig und doch hilflos versuchen, mit den Enttäuschungen des Lebens, mit gescheiterten Träumen und schließlich mit dem Tod umzugehen.
Häger und Otto sitzen an einem Tisch, als hätten sie nie andere Charaktere gespielt. Dabei ist das spartanische Bühnenbild eigentlich nur in einer einzigen Hinsicht sehenswerter Spiegel einer Verbundenheit, die trotz aller Unterschiede mehr und mehr zu entdecken ist: Bösel trägt blaue Socken zum roten Jackett, Fellner rote Socken zum blauen Jackett.
So lebt die Tragikomödie weniger von optischen Elementen als von intimen Momenten. Zur Schlüsselszene wird ein Toilettengespräch, das einen Knoten löst und aus Feinden Vertraute macht.
Am Ende müssen auch die Zuschauer schlucken. Sie erleben einen bewegenden Abend, der mit viel Herzblut und mehreren Schnitzeln präsentiert wird — und an dem nicht nur Vegetariern das Lachen an etlichen Stellen sprichwörtlich im Halse stecken bleibt.
Regie: ■■■■□
Bühne: ■□□□□
Schauspieler: ■■■■■