Interview: Eine Frohnatur sucht ihre Wurzeln
Julia Hallers Herz schlägt für die Wuppertaler Bühnen — nicht nur, weil sie Marketing-Chefin ist, sondern vor allem auch, weil sie eine ganz persönliche Bindung an das Opernhaus hat. Ihr Urgroßvater war Heldentenor.
Frau Haller, als neue Marketing-Expertin der Wuppertaler Bühnen haben Sie kein leichtes Amt in schweren Zeiten. Dem städtischen Theaterbetrieb droht ein drastischer finanzieller Sparkurs. Abgesehen davon ist die Zukunft des Schauspielhauses nach wie vor ungewiss. Da ist das Buhlen um Zuschauer so wichtig wie nie zuvor. Wie sehen Sie Ihre Rolle im Kampf um den Erhalt aller Sparten?
Julia Haller: Gerade die Spartenvielfalt macht das Programm der Wuppertaler Bühnen interessant. Das Marketing muss zum Ziel haben, für beide Sparten größtmögliche Resonanz und Aufmerksamkeit zu erzielen, die sich idealerweise auch in steigenden Zuschauerzahlen niederschlägt. Dann ist die Wuppertaler Hochkultur im Zusammenspiel von Bühnen, Sinfonieorchester und Tanztheater ein gewichtiger Faktor für die Lebensqualität in der Stadt und in der Region.
Wer mit Blick auf Ihren Beruf denkt, dass Ihr Herz nur an den Finanzen der Bühnen hängt, kennt Ihre Familiengeschichte nicht — und hat Sie vermutlich auch noch nicht „live“ erlebt. Sie wirken zufrieden, vergnügt und ausgeglichen. Hängt das auch mit Ihrer persönlichen Bindung an Wuppertal zusammen?
Haller: Wer in der Kurpfalz geboren, im Rheinland aufgewachsen ist und dort lange gelebt hat, dann zehn Jahre in der schwäbischen Provinz verbracht hat, für den ist der Umzug ins Bergische Land eine Art „Nachhausekommen“. Ich habe Anteile einer Rheinischen Frohnatur . . . Außerdem gibt es alte familiäre Wurzeln in Wuppertal. In den 20er Jahren war mein Urgroßvater Martin Haller Heldentenor an den Vereinigten Bühnen Barmen-Elberfeld.
Sie sind im Opernhaus sicherlich auf Spurensuche gegangen. Welche Rolle(n) hat Ihr Urgroßvater an den Vereinigten Bühnen gespielt?
Haller: Die „Spurensuche“ empfinde ich ganz wörtlich. Zu wissen, dass es im Barmen der 20er Jahre exakt diesen Bahnhof gab, damals noch der Wuppertaler Hof als Hotel existierte und auch am gleichen Ort das alte Opernhaus stand, berührt mich doch immer wieder sehr. Mich hat immer schon die Bewahrung des familiären Erbes interessiert und ich habe lange vor meinem Umzug nach Wuppertal Kontakt mit dem Stadtarchiv aufgenommen. Dort hat man mir Kritiken aus dieser Zeit zur Verfügung gestellt und daher weiß ich, dass die erste Rolle meines Urgroßvaters Tannhäuser war. Außerdem stand er als Othello und als Fürst Wassili Iwanowitsch Schujskij („Boris Godunow“) auf der Bühne.
Aufschlussreich sind vermutlich auch die Memoiren Ihres Großvaters Heinz Haller . . .
Haller: Ja, das stimmt. Er beschreibt sehr ausführlich seine Eindrücke als Zwölfjähriger, sowohl von Wuppertal mit der Schwebebahn und sonntäglichen Spaziergängen im Murmelbachtal als auch, wie er seinen Vater auf der Bühne wahrgenommen hat. Mir gefällt am besten seine Beschreibung der „Tannhäuser“-Oper, die 1926 in der Pariser Fassung gespielt wurde. Während der Balletteinlagen musste Tannhäuser — mein Urgroßvater — im Schoß der Venus verharren und hatte wohl jedes Mal dasselbe Problem: Ihm schliefen die Beine ein! Diese Anekdote erfreut mich doch immer wieder.
Hat es Sie selbst nie ins Rampenlicht gezogen?
Haller: Nein, zu keinem Zeitpunkt. Ich mag meinen Platz hinter den Kulissen, die Vielfältigkeit der Aufgaben, unterschiedliche Begegnungen mit vielen verschiedenen Menschen — und schätze die Arbeit in einem großen Team.
Sie haben zuvor zehn Jahre lang im Kreis Ludwigsburg gelebt und die dortigen Schlossfestspiele betreut. Was unterscheidet das schwäbische vom bergischen Publikum?
Haller: Das bergische Publikum ist in meiner Wahrnehmung begeisterungsfähiger. Nach Opern- oder Schauspielvorstellungen hört man immer wieder positive Äußerungen. Beim Schwaben gilt: „Nicht geschimpft ist gelobt genug.“
Was schätzen Sie speziell an Wuppertal?
Haller: Ich habe mich in dieser Stadt vom ersten Moment an wohlgefühlt. Mir gefällt das Stadtbild mit seiner Industriearchitektur und seinen zum Teil wunderbaren Häuserfassaden. Andererseits ist man überall schnell im Grünen. Und vermutlich werde ich nie mehr in so einer schönen Altbauwohnung wohnen können wie hier in Unterbarmen.
Auf welche Produktion der neuen Spielzeit freuen Sie sich am meisten (und warum)?
Haller: Bei einem Festival wie den Ludwigsburger Schlossfestspielen ist jeder Abend ein Unikat. Künstler aus der ganzen Welt geben ein Gastspiel und reisen wieder ab. Bei einer städtischen Bühne mit zwei Sparten und zwei Ensembles — wie bei den Wuppertaler Bühnen — hat man die große Chance, Entwicklungen zu sehen. Die Schauspieler und Sänger in verschiedenen Rollen zu erleben — darauf freue ich mich am meisten.