Macbeth: Mit Klamauk an die Macht

Die Wuppertaler Bühnen feierten am Samstag Premiere im Kleinen Schauspielhaus.

Wuppertal. Ein Kuss sagt mehr als tausend Worte. Lady Macbeth (Sophie Basse) verbindet ihn jedoch vorsichtshalber mit einer klaren Botschaft: Während sie zusammen mit ihrem Mann (Holger Kraft) die Knöpfe von Bluse und Hose öffnet, gibt sie sich alles andere als zugeschlossen. Man solle wie eine Rose aussehen, aber wie eine Schlange sein - das säuselt die selbstbewusste Lady ihrem Gatten beim Liebesakt ins Ohr. Das Publikum im Kleinen Schauspielhaus ahnt es bereits zu diesem Zeitpunkt: Die beiden sind sich nah und trotzdem fern.

Wie eine blühende Rose sieht Wuppertals neuer Macbeth nicht gerade aus. Andererseits: Ein Schlangenmensch ist er auch (noch) nicht. Die tragische Figur steht irgendwie zwischen den Zeiten - und zunehmend neben sich. Das zeigt Claudia Bauer in ihrer "Macbeth"-Inszenierung nicht zuletzt optisch.

Der Anti-Held trägt keine Ritterrüstung, aber auch kein modernes Outfit. Der Anzug, in dem Macbeth unsicher grinst, sieht aus wie von gestern. Auch Lady Macbeth, die eigentlich Starke, die buchstäblich die Hosen anhat und im türkisfarbenen Anzug zusehends Farbe bekennt, wirkt im 80er-Jahre-Anzug anfangs eher etwas verloren als im Heute und Jetzt angekommen.

Das ändert sich, je schmutziger die Bühne und die Pläne der Thronanwärter werden. Denn schon in Shakespeares Vorlage gilt: Das Äußere spiegelt das Innere. Bauer macht das furchterregend deutlich - immer dann, wenn sie auf die leisen Töne derer setzt, die so gerne laut poltern.

Die Masken fallen langsam, dann allerdings immer schneller: Als Macbeth und seine Lady den Königsmord planen, um sich selbst die Krone aufzusetzen, lässt der tragische Held noch Skrupel erkennen. Nur wenig später schlägt die Stimmung um: Das Paar gibt sich entsetzt, als es vom Tod des Herrschers hört - so eindringlich, dass einem eine Schauer über den Rücken läuft.

Macbeth, der Pantoffel-Held, sucht Anerkennung, findet aber keine Ruhe. Mit aller Gewalt hält er an der Macht fest. Kraft zeigt eindrucksvoll, wie die Karrieresucht den Angestachelten immer mehr beherrscht: Kaum hat Macbeth seinen Vorgänger ermordet, plagt ihn die Angst, selbst gestürzt zu werden. Macbeth wird wirr im Kopf, die Inszenierung immer abgedrehter.

Dabei sind es vor allem die intimen Momente, die fesseln. Wenn Lady Macbeth (Sophie Basse überzeugt mit einer Mischung aus Erotik, Kalkül und Depression) mit den Waffen einer Frau kämpft und zum Tanz bittet, wird Macbeth in ihren Armen zur Marionette.

Sie stachelt ihn zum Königsmord an, doch statt mit dem Endergebnis zufrieden zu sein, endet die Szene in typischen Paarproblemen und weiblichen Vorwürfen: "Wieso hast du die blutverschmierten Dolche hergeschleppt? Du bist schwach, feige, jämmerlich! Warum bist du nur so?" Da passt es bestens, dass das Duo kaum miteinander, sondern lieber frontal zum Publikum spricht. Die Aufsteiger entfremden sich immer mehr, sie fallen immer tiefer.

Patricia Talacko und Bernd Schneider teilen Bühne und Kostüme in zwei Welten. Rechts, auf dem Trümmerfeld der Gefühle, "thront" Macbeth auf einer brüchigen Couch. Links, in einem Schlachtfeld aus Dreck, Nebel, Kleiderbergen und Babypuppen, leben die Hexen. Mit verfilztem langen Haar und zerrissenen Strumpfhosen hauchen Daniel Breitfelder, Marco Wohlwend und Sebastian Stert schicksalhafte Prophezeiungen ins Mikrophon. Sie haben allerdings noch mehr zu tun: Sie schlüpfen in verschiedene Rollen - was mal verwirrend, oft aber auch erheiternd ist.

Denn immer wieder gibt es witzige Einfälle: Machtlüsterne Männer hecheln wie Hunde, beschwingte Musik ("I’m sitting on top of the world") unterbricht das blutrünstige Geschehen, Wohlwend glänzt als tumber Auftragskiller. Doch an anderen Stellen stimmt die Balance zwischen Ernst und Heiterkeit nicht: Immer wieder rutscht das Psychodrama ins Klamaukhafte ab.

So wirkt Macbeth am Ende wie ein Toter unter den Lebenden. Auch seine Frau kann ihn nicht mehr wachküssen, stattdessen verbeugt sich das Langhaar-Trash-Trio vor dem Publikum. Ein Schelm, wer dabei denkt, dass Hexen zuletzt lachen.