Oper „Mitmachen und Teilhabe ist fundamental wichtig für die Oper“

Interview Opernintendant Berthold Schneider hat eine Spielzeit erlebt, die langsam begann und umso rasanter endete. Und in der er zwei Herzensprojekte an den Start bringen konnte.

Ist mit dem Verlauf der Spielzeit 2018/2019 zufrieden: Intendant Berthold Schneider.

Foto: Fries, Stefan (fri)

Er ist ein Netzwerker, der über die Grenzen der Stadt hinaus denkt. Den Austausch und die Zusammenarbeit sucht. Aufsehen erregt mit einem Programm, das sich nicht auf Vertrautes verlässt, das experimentiert und neue Ansätze sucht, um auch Menschen außerhalb des etablierten Abonnementbetriebs zu erreichen. Die Spielzeit 2018/19 war Berthold Schneiders dritte als Intendant der Wuppertaler Oper. Über deren Verlauf, Höhe- und Tiefpunkte, über die Besucher­entwicklung und die Zukunft der Oper denkt er im Gespräch mit der WZ nach.

Ein kurzes Resümee der Spielzeit:

Berthold Schneider: Der Start war langsam, weil wir mit konzertanten Opern begonnen haben. Dann nahm die Spielzeit Fahrt auf, bis sie zum Schluss in Formel 1-Tempo die Zielgerade erreichte. Wir haben viel mit Partnern zusammengearbeitet, was der Oper gut tut. Wir haben neues Publikum gewonnen, zum Beispiel die Zweijährigen mit „Kleines Stück Himmel“, und viele, die noch nie auf der Bühne standen oder im Zuschauerraum waren, mit der partizipativen Oper „Das Labyrinth“. Ich bin sehr beglückt, weil im Großen und Ganzen gelungen ist, was wir uns gewünscht haben.

Was wollen Sie hervorheben?

Schneider: Wir haben Neuland betreten, vor allem mit „Play Europeras“, von Rimini Protokoll inszeniert, der erste Operneinsatz des bekannten Regieteams überhaupt. Das war eine große Entdeckungsreise mit angenehmem Ausgang. Wir konnten das Opernstudio NRW anschieben und sind in der Szene zu einem Hotspot geworden, den die Kollegen Intendanten aufsuchen, um hier Regisseure einzukaufen. Etwa Barbora Horáková („Luisa Miller“) oder Joe Hill-Gibbins („Die Hochzeit des Figaro“) oder auch die gefeierte Labyrinth-Produktion aus Aix-en-Provence, die wir als erste in Deutschland zeigen. Außergewöhnliche, auch überregionale Aufmerksamkeit hat auch der Ämtertausch mit dem Präsidenten des Wuppertal Instituts erfahren.

Wie läuft das Forma „Sound of the City“?

Schneider: Das ist eine ganz erfreuliche Geschichte. Nach der dritten Folge war klar, dass wir es nicht weiter selbst stemmen können. Durch die Förderung des Landesprogramms „Neue Wege“ hat das Festival eine Perspektive und ermuntert uns. Bereits 2018 hatten wir mit der Freien Szene über eine Neuausrichtung gesprochen, die wir nun mit der auf drei Jahre angelegten Förderung mit 82 000 Euro im Jahr angehen können. 2020, im Engelsjahr, wird Sound of the City das Thema „Arbeit?“ haben.

Wie zufrieden sind Sie mit der Realisierung der Mitmachoper „Das Labyrinth“?

Schneider: Sie hat die Tür aufgestoßen – dahin, wo wir schon länger hinwollten. Mitmachen und Teilhabe erachten wir als fundamental wichtig für die Oper. Die Hälfte des Spaßes ist doch, selber Erfahrungen zu machen. „Das Labyrinth“ hat gezeigt, zu welcher Größe man sich aufschwingen kann, egal wie alt man ist. Da ist ein Potential, eine künstlerische Kraft, die für jeden sofort sichtbar ist, die verbindet. Davon brauchen wir mehr. Aber dafür muss man hart arbeiten.

Sie konnten in der Spielzeit auch neue Projekte anschieben.

Schneider: Ja. Bei „Noperas!“ tun sich drei Theater – Wuppertal, Halle und Bremen – für drei Jahre und drei Uraufführungen zusammen. Die erste, „Chaosmos“, feiert im Januar bei uns Premiere. Das bedeutet fundamental neues, prozesshaftes Denken und Arbeiten, die Chance, Neues zu entwickeln. Ich bin auf das Ergebnis sehr gespannt. „Noperas!“ ist zusagen das Gegenstück zur partizipativen Oper. Außerdem haben wir das Opernstudio NRW angeschoben. Ein Mammutprojekt, das es so noch nicht auf der Welt gibt. Bisher konnten sich nur große Opern Opernstudios leisten. Durch die Kooperation von vier Opern – Wuppertal, Essen, Dortmund und Gelsenkirchen – und die Assoziierung von zwei Hochschulen können wir jungen Leuten eine beschützte Form der Weiterentwicklung anbieten. Acht Sänger und zwei Pianisten erhalten ab September einen außergewöhnlichen Karrierestart. Es macht mich froh und stolz, dass wir das nach zweieinhalb Jahren Vorbereitung geschafft haben.

Was lief nicht so gut?

Schneider: Von der „Werther“-Inszenierung hatte ich mir mehr versprochen. Aber vielleicht ist Video kein Ersatz für eine szenische Produktion. Das ist bitter, denn vom künstlerischen Ergebnis bin ich überzeugt. Auch „Land des Lächelns“ wurde nicht so angenommen wie erhofft. Vielleicht sind romantisierende Operetten in Wuppertal out, dynamischere Stoffe gefragt. Das hat uns den Start in die Saison erschwert. Mit „Luisa Miller“ lagen wir dann weit über den Erwartungen.

Wie haben sich die Besucherzahlen entwickelt?

Schneider: Wir konnten die Zahlen halten, aber wir wollen natürlich mehr. Mit einem breiten Angebot mit vielen Facetten wollen wir die Zahlen langfristig steigern, dabei den Nachwuchs erreichen. Wir haben jetzt schon eine größere Durchmischung. Eine Dynamik, die insgesamt zu einer höheren Auslastung führen soll.

Wie geht es dem Ensemble?

Schneider: Die jüngste Auszeichnung für Ralitsa Ralinova (beim Wettbewerb „Beppe de Tommasi“ in Reggio Calabria gewann sie den 2. Preis und den Publikumspreis, Red.) ist eine weitere Bestätigung für das ungewöhnlich hohe Niveau im Ensemble. Wir haben hochkarätige, handverlesene Persönlichkeiten, denen ich Hochachtung zolle. Erwähnen möchte ich auch Neuzugang Iris Marie Sojer und Catriona Morison, die uns für Gastauftritte erhalten bleibt. Und wir haben auch jenseits des Solistenensembles ein hervorragendes künstlerisches Potenzial: Ein Orchester unter der Leitung unserer herausragenden Generalmusikdirektorin Julia Jones, einen hochkarätig besetzten Musikalischen Stab und einen leider etwas zu kleinen, aber dennoch ungewöhnlich leistungsstarken Opernchor.

Wie ist es um die Gleichberechtigung in der Oper bestellt?

Schneider: Das ist ein Thema, das mich umtreibt. Wir müssen das Bewusstsein dafür schärfen, dass Frauen andere Ausgangspositionen haben als Männer. Es reicht nicht, auf die Komponistinnen zu verweisen, die Karriere gemacht haben. Immerhin haben wir 2018 die erste von einer Frau komponierte Oper gespielt (Liberazione von Francesca Caccini, Red.). „Kleines Stück Himmel“ wurde auch von einer Frau geschaffen.