Wuppertal Oper von Alban Berg: Mit „Lulu“ im Dschungelcamp
Die Oper von Alban Berg überzeugt musikalisch, lässt in der Inszenierung aber Fragen offen.
Wuppertal. Das Dreieck, mit der Spitze nach unten weisend, symbolisiert unter anderem die weibliche Geschlechtskraft — das „weibliche Dreieck“. Es zieht sich wie ein roter Faden durch Beate Barons Inszenierung der Oper „Lulu“ von Alban Berg. Das Emblem dient als Ersatz für Lulus gemaltes Porträt und ist auf einer weißen Fahne zu finden, die geschwungen wird. Es kommt in jeder der sieben Szenen der letzten Produktion der Ära Toshiyuki Kamiokas vor, die am Samstag im Opernhaus auf die Bühne gehoben wurde.
Diese „Lulu“ ist das letzte Dirigat des scheidenden Wuppertaler Opernintendanten und Generalmusikdirektors in der altehrwürdigen Kulturstätte in Barmen. Denn die eigentlich mit ihm geplante Wiederaufnahme von Giacomo Puccinis Oper „Tosca“ im Juli dirigiert nun Alexander Steinitz aus Österreich.
Dessen ungeachtet kann sich sein Finale in Sachen Wuppertaler Musiktheater bei der Premiere hören lassen. Denn aus dem Orchestergraben kommen vom Sinfonieorchester Wuppertal elegante Klänge. Die verzwickte Partitur in der Fassung des von Friedrich Cerha komplettierten dritten Akts mit ihren damals ungewöhnlichen Spielanweisungen wird jederzeit sehr durchhörbar und differenziert in Töne umgesetzt. Melodische Stimmführungen kommen ebenso stilsicher daher wie die dramatischen Kraftentfaltungen in den Zwischenspielen.
Dagegen bleiben eine Etage höher inszenatorisch ein paar Wünsche offen. Man wird nicht schlau daraus, warum im Atelier des Malers die Protagonisten gelegentlich auf dem Boden herumkriechen. Den schmucken Salon des Dr. Schön gibt es nicht. Stattdessen wird ein Dschungelcamp (Bühnenbild: Elisa Limberg) in Afrika gewahr, Basislager für Großkatzen-Jagd.
Statt des eigentlich als Intermezzo vorgeschriebenen Stummfilms über die Zeit von der Verhaftung bis zur Flucht Lulus aus dem Gefängnis sieht man auf der Leinwand — in Zeitlupe gedreht — Leute in schwarzer Trauerkleidung durch den Skulpturenpark Waldfrieden hetzen. Den Aktiencrash erlebt man nicht in Paris, sondern dekadent im sonnigen Süden auf Liegestühlen. Die schmuddelige Absteige zum Schluss könnte überall auf der Welt statt in London sein.
Das alles wirkt beliebig. Wie beim Dreieck geht es wohl hauptsächlich darum, Lulu als Femme Fatale in all ihren Schattierungen in Bildern und gefälligen Kostümen (Marie Gerstenberger) darzustellen. Denn trotz einigen Trubels auf, vor und neben der Drehbühne gerät die dramaturgische Personenführung ein wenig ins Hintertreffen. Etliche Handlungen sind zu statisch. Die Statisterie etwa (Clowns, goldgewandete Engel, Freier mit weißen Flügeln) bewegt sich nur minimal, integriert sich statuengleich starr in die Szenerie.
Doch es gibt auch Lichtblicke: Die sängerischen Qualitäten sind ebenso ein Hörgenuss wie die von unten kommende Musik. Eine angebliche Erkrankung merkt man Martina Welschenbach als Lulu nicht an. Selbst in den hohen Tongefilden strahlt sie mit einem sicheren Sopran. Ralf Lukas gibt glaubhaft einen bassbaritonal gefügigen Dr. Schön ab. Mit tadellosen Stimmen überzeugen außerdem Mezzosopranistin Kathrin Göring (Gräfin Geschwitz), Bassist Martin Blasius (Schigolch) und Tenor Johannes Grau (Maler). Nur kleine Unstimmigkeiten sind bei Tenor Arnold Bezuyen (Alwa) vernehmbar. Auch die kleineren Partien werden gesanglich adäquat sehr schön gestaltet.
Das Publikum zeigt sich uneins. Die Sitzreihen haben sich nach den beiden Pausen nicht unerheblich gelichtet. Der Schlussapplaus dauert zwei Vorhänge, durchsetzt mit wenigen Bravo- und Buhrufen.