Wuppertaler Sinfonieorchester Star-Dirigent Kamioka geht auf leisen Sohlen
Wuppertals Star-Dirigent verlässt die Stadt im Sommer. In den vergangenen Monaten hat er sich rar gemacht.
Wuppertal. Lichtkegel und Blitzlichtgewitter liegen Toshiyuki Kamioka nicht. Starkult hat ihm nie gelegen. Das ist womöglich ein Grund dafür, dass der Japaner Wuppertal im Sommer auf eher leisen Sohlen verlässt. Ein paar Dirigate noch, dann endet eine zwölf Jahre währende Ära. Dann endet eine Phase des Wuppertaler Sinfonieorchesters, der Kamioka seinen Stempel aufgedrückt hat, wie kaum ein Dirigent zuvor.
Aber in die Rückbetrachtung der Arbeit des Mannes aus Tokio in Wuppertal mischt sich zunehmend Unmut. Vor allem unter den Abonnenten der Konzertreihe kursiert die Frage, wofür der Japaner in den vergangenen Monaten überhaupt noch bezahlt worden sei. Gearbeitet habe er jedenfalls nicht. Erste Klassikfreunde ziehen in Erwägung, ihr Abonnement nicht zu verlängern.
Der Geschäftsführer der Wuppertaler Bühnen, Enno Schaarwächter, versteht den Unmut des Publikums, sieht Kamiokas Abwesenheit aber in einem anderen Licht. „In diesem Jahr hat Kamioka das Podest für Probedirigate seiner möglichen Nachfolger freigemacht, unter anderem auch für die Aufführung der Madama Butterfly“, erklärt Schaarwächter.
Für den Endspurt des Dirigenten in Wuppertal verspricht Schaarwächter noch einige Glanzlichter. Das beginnt am Samstag mit der Vier-Stunden-Oper „Lulu“ von Alban Berg. „Daran arbeitet Kamioka derzeit sehr intensiv mit dem Orchester.“ Die Oper wird insgesamt fünfmal unter der Leitung des scheidenden Dirigenten aufgeführt. Im Mai dirigiert Kamioka außerdem das 9. Sinfoniekonzert.
Dem Kulturdezernenten der Stadt, Matthias Nocke (CDU), sind die kritischen Töne in den vergangenen Wochen und Monaten nicht entgangen. „Wir hätten uns schon gewünscht, dass Herr Kamioka in seiner letzten Spielzeit in Wuppertal mehr Präsenz zeigt.“ Auch Nocke führt als Einschränkung die Probedirigate an. Dennoch wäre mehr möglich gewesen.
Doch im Rückblick überwiegt bei Nocke wie bei Schaarwächter die Dankbarkeit für die Arbeit des Dirigenten in Wuppertal. Er habe das Orchester zu dem entwickelt, was es heute ist. „Und er war über die Jahre hinweg ein Publikumsliebling.“
Kamioka selbst macht von seinem Abschied aus Wuppertal kein Aufhebens. Er wünsche sich am Ende nichts als den Applaus seines Publikums. Versuche, mit ihm darüber zu sprechen, scheitern freundlich, aber bestimmt an seinem Vorzimmer. Leute, die von sich sagen können, den Musiker seit Jahren zu begleiten, interpretieren das auf zweierlei Arten. „Der Applaus des Publikums ist ihm genug“, sagt beispielsweise der Kulturdezernent. Kamioka weniger Wohlgesonnene mutmaßen, der Dirigent sei ein wenig beleidigt. Die Kritik an seiner Doppelfunktion als Opernintendant und Generalmusikdirektor (GMD) habe ihm zugesetzt. Tatsächlich entpuppte sich die Opernintendanz Kamiokas nicht als die erhoffte Aufwertung des Singspiels im städtischen Dreispartentheater. Der 55-Jährige selbst hat im vergangenen Jahr die Reißleine gezogen und seinen Abschied angekündigt.
Dass er dabei zunächst seine in Japan lebende Mutter als einen der Hauptgründe ins Feld führte, nimmt ihm mancher Übel, seit er in Kopenhagen einen neuen Vertrag als GMD unterschrieb.
Die Ära Kamiokas in Wuppertal endet am 20. Juni gegen 22 Uhr in der Stadthalle mit dem 10. und letzten Sinfoniekonzert der Saison. Dann beginnt die Zeit von Julia Jones in der Leitung des Orchesters. Die neue Dirigentin wird in der Spielzeit 2016/17 Wuppertal noch nicht ganz zur Verfügung stehen können, will aber vereinbarungsgemäß so viel Zeit wie möglich in der Stadt verbringen. „Im Übergang sind solche Absprachen üblich, weil Leute von dieser Qualität meistens längerfristig verpflichtet sind. Aber ab der übernächsten Spielzeit ist Frau Jones ganz bei uns“, sagt Bühnengeschäftsführer Enno Schaarwächter.
Ob die Ära der Engländerin ebenfalls eine Dekade überdauert, hängt von der wirtschaftlichen Zukunft des Orchesters ab und vom Urteil des Wuppertaler Publikums.