So ein Zirkus: Kunst hat zwei Seiten
Max Beckmanns „Großes Varieté“ ist einen zweiten Blick wert – gerade zu Silvester.
Wuppertal. Das Leben ist Ansichtssache - die Kunst erst recht. In beiden Fällen gilt: Der eine schaut eher nach vorn, der andere lieber nach hinten. Der Mann, den Max Beckmann malerisch in Szene setzt, macht beides: Es scheint, als hätte der Herr in Reihe eins den besten Blick auf die Bühne - dabei wirkt es so, als wolle er den ganzen Zirkus, der sich vor ihm abspielt, gar nicht sehen.
"Der Zuschauer ist von hinten, aber gleichzeitig auch von vorne getroffen", sagt Gerhard Finckh. Wenn man vor dem Bild steht, sieht man zwar seinen Hinterkopf. Der könnte aber auch ein Gesicht sein, das sich von der Bühne abwendet und uns, die Betrachter, ansieht."
Der Leiter des Von der Heydt-Museums weiß, dass auch bei großen Kunstwerken die kleinen Details zählen. Passend zum Jahreswechsel blickt er in eine ganz bestimmt Richtung: auf ein Gemälde, das "Großes Varieté mit Zauberer und Tänzerin" verspricht. "Der Zuschauer ist ein janusköpfiger Mann." Und deshalb gerade zu Silvester einen zweiten Blick wert, denn "Janus ist ja der Gott mit den zwei Gesichtern und zugleich der Zeitenwende".
Beckmanns Bild passt damit perfekt zu Neujahr - auch, weil es ein zeitgemäßes Thema transportiert: "Das Cabaret übte schon immer eine große Faszination auf Künstler aus. In den 20ern und 30ern gab es viele Gaukler-Darstellungen", erklärt Finckh. "Im Expressionismus waren sie an der Tagesordnung. Im Winter war man gern in den Großstädten, um das Leben zu genießen."
Auch Beckmanns Gemälde, das 1942 entstand und heute im Depot des Von der Heydt-Museums zu finden ist, spiegelt also Zeitgeschichte. Der gebürtige Leipziger setzt auf die Magie eines Zauberers, einer Tänzerin und einer schwebenden Jungfrau. Die Musik spielt im Hintergrund. Und auch das ist Beckmann-typisch: Die Musiker hat er - bildlich gesprochen - in die Länge gezogen.
Das Spiel mit der Perspektive weckt nicht nur Assoziationen an fröhliche Party- und Silvesternächte, das kunterbunte Treiben zeigt auch, dass der Maler, der als "entartete Künstler" 1937 nach Amsterdam fliehen musste, die Zeichen der Zeit erkannt hatte: Er arbeitete genauso mit abstrakten wie mit figürlichen Elementen. Dazu gehört auch ein gelb gekleideter Feuerschlucker, mit dem Beckmann symbolisch Farbe bekannte: "Es geht um das Magische, Verblüffende - um das, was der normale Mensch nicht kann."
Weil Kunst aber nicht nur Kopfsache, sondern vor allem eine Herzensangelegenheit ist, verrät die "magische" Motivwahl auch allzu Menschliches: "Beckmann war sehr nachdenklich", sagt Finckh, "er konnte aber auch sehr lebensfroh sein." Das Leben hat eben zwei Seiten - die Kunst erst recht.