Ausstellung über Pina Bausch Tänzerin Julie Shanahan: „Es ist so viel Liebe in diesen Raum geflossen“

Die Bundeskunsthalle baut den Probenraum von Pina Bausch nach. Wir sprechen mit der Tänzerin Julie Shanahan über das Original.

An diesem Tisch in der Lichtburg hat Pina Bausch mit ihren Tänzern gearbeitet.

An diesem Tisch in der Lichtburg hat Pina Bausch mit ihren Tänzern gearbeitet.

Foto: Andreas Fischer/Rolf Vennenbernd, dpa

Barmen. „Haben sie es in der Bundeskunsthalle geschafft, unseren Probenraum so aufzubauen, wie er ist?“, fragt die Tänzerin Julie Shanahan. Sie lacht und glaubt es nicht: „Man kann die 40 Jahre, die in jedem Winkel dieses Raumes stecken, nicht nachmachen — selbst wenn man den Stoff an der Wand herunterhängen lässt.“

Julie Shanahan hatte einen Sitzplatz hinter ihr und hat „immer geguckt, wie sie guckt“.

Julie Shanahan hatte einen Sitzplatz hinter ihr und hat „immer geguckt, wie sie guckt“.

Foto: Andreas Fischer/Rolf Vennenbernd, dpa

In der Original-Lichtburg an der Höhne hängen tatsächlich einige Bahnen der grün-grauen Wandbespannung zerknäult herunter, man sieht den nackten Stein. In dem einstigen Kino am Alten Markt probt das Tanztheater seit Dezember 1977, hier hat Pina Bausch bis zu ihrem Tod 2009 mit ihren Tänzern die weltberühmten Stücke entwickelt. Sie hat ihnen mit Fragen Gedanken, Erinnerungen, Bewegungen entlockt und daraus eine fundamental neue Kunst erschaffen.

„Manche versuchen immer, die besten Voraussetzungen zu schaffen — schönes Licht, angenehme Temperaturen, neueste Technik“, sagt Shanahan, die seit 1988 zur Compagnie gehört. „Aber das heißt nicht, dass dort die Kreativität lebt!“ Dieser Raum sei unglaublich mit Pina verbunden, die immer an dem Tisch vor der Leinwand gesessen hat. „Sie wollte daran nie etwas ändern. Denn es gibt etwas, das mit der Zeit immer weiter wächst. Wenn man das plötzlich putzt, kann es sein, dass man etwas wegwischt.“

Nur das Dach ist mal erneuert worden, nachdem während einer Probe zu „Iphigenie“ ein Arbeiter auf dem Dach mit den Füßen durchgebrochen war, sich dann aber selbst wieder hochhangeln konnte. Ansonsten atmet in der Lichtburg alles die 50er Jahre: das dunkelgrüne Kunstleder, das mit dicken Silbernieten an die Wand geschlagen ist, der geschwungene Balkon, dessen vorderer Teil gesperrt ist, die hohen Tütenlampen, die warmes, aber gedämpftes Licht verbreiten.

„Darüber beschweren wir uns manchmal, weil es so müde macht“, sagt die Tänzerin. „Es kommt kein natürliches Licht herein. Wenn man Glück hat, erwischt man mal einen kleinen Sonnenstrahl, der vom linken Fenster oben auf dem Balkon zur Tür unten rechts geht.“ Aber meist sei man ohnehin so konzentriert, dass man gar nichts merke.

Die Tage in der Lichtburg sind lang. Jeden Morgen um zehn beginnt das Training. Anschließend Probe bis zwei, halb drei, die zweite Probe läuft meist von sechs bis zehn Uhr abends. Es muss dieser Raum sein, auch wenn die Heizung nicht immer zuverlässig ist. Im Opernhaus gibt es einen lichtdurchfluteten Ballettsaal mit Spiegelwand und festen Ballettstangen — „aber das funktioniert nicht so gut“.

Denn das ehemalige Kino ist ein abgeschotteter und damit geschützter Raum, Fremde müssen draußen bleiben. Die Tanzfläche, da wo früher die Stuhlreihen standen, ist deutlich kleiner als die spätere Bühne. „Das finde ich toll. Pina konnte in dieser intimen Arbeit alles fühlen, weil alles so nah ist. Wenn man in der Mitte steht, ist man unglaublich präsent. Und wenn du etwas Neues machst, und die ganze Compagnie schaut zu, kann einen das wirklich beängstigen. Du denkst nur noch: Das kann nicht gut gehen. Aber man lernt eben auch, sich zu spüren, ganz man selber zu sein.“

An den Wänden ringsherum stehen Holzstühle, darüber baumeln Bügel von der Leiste, die die Wandbespannung vom Kunstleder trennt. Jeder Tänzer hat seinen Platz, die meisten haben ihn nie gewechselt. Verschiedene Kleiderlängen hängen da, eine Pelzjacke neben dem Flatterkleid, Sakkos eng und weit, damit man die Bewegungen unter verschiedenen Beengungen üben kann.

„Es sind so viel Tränen, so viel Liebe, harte Arbeit und Lebensgeschichten in diesen Raum geflossen“, sagt Julie Shanahan. „Das ist wie etwas, das dir deine Oma gegeben hat: Das schmeißt du nicht einfach weg.“