Tanztheater: Die Rückkehr des Fensterputzers
Ein Hauch von Hongkong in Barmen: „Der Fensterputzer“ meldet sich zurück. Das Tanztheater arbeitet an einer Neuinszenierung.
Wuppertal. Was hat „Der Fensterputzer“, was andere Produktionen nicht haben? Robert Sturm überlegt. Dann ist klar: Der künstlerische Leiter des Wuppertaler Tanztheaters vergleicht nicht gerne. Denn: „Jedes Stück ist etwas Besonderes.“ So hat auch „Der Fensterputzer“ seine ganz eigenen Qualitäten: „Die Produktion hat wunderschöne Tänze, ist sehr berührend und humorvoll.“
Ein Grund mehr, um dem Wuppertaler Publikum — nach fünfjähriger Pause — wieder Hongkong näher zu bringen. „Auch die Tänzer freuen sich, dass das Stück wieder gespielt wird“, betont Sturm. Zumal es — abgesehen von persönlichen Erinnerungen — auch einen ganz allgemeinen Grund gibt, um mit Hochdruck an der Neuinszenierung zu arbeiten: „Der Fensterputzer“ gehört zu den zehn Stücken, die das Ensemble im kommenden Jahr bei der Cultural Olympiad (Kultur-Olympiade) in London präsentiert. Die Pina-Bausch-Choreographie, die seit der Uraufführung 1997 unter anderem in New York, Moskau und Barcelona zu sehen war, wird also erst einmal nach Hause geholt, bevor sie Großbritannien erobern soll.
Einen Hauch von Hongkong gibt es deshalb erst einmal in Barmen. Seit 2006 war die rund dreistündige Collage, die in Kooperation mit der Hong Kong Arts Festival Society und dem Goethe-Institut in Hongkong entstanden ist, nicht mehr in der Heimatstadt des Tanztheaters zu erleben. Nun kehrt „Der Fensterputzer“ zurück: 13 Herren und zwölf Damen sind dabei, wenn die Neuinszenierung ab dem 4. November im Opernhaus über die Bühne geht. Wobei sich das „Neue“ vor allem auf vier Namen konzentriert: Damiano Ottavio Bigi, Ales Cucek und Clémentine Deluy ersetzen Bernd Marszan, Stephan Brinkmann und Chrystel Guillebeaud, die inzwischen nicht mehr zum Ensemble gehören. Auch Tsai-Chin Yu, seit 2008 bei der Kompanie, ist im Einsatz.
Nicht nur für die „Neuen“ sind die Vorbereitungen eine Herausforderung. Denn auch wenn es „keine gravierenden Änderungen“ gibt, was Choreographie und Bühnenbild betrifft, sind die Proben, die Sturm zusammen mit Dominique und Thusnelda Mercy leitet, ein gutes Stück Arbeit, „da das Stück lange pausiert hat“. Wie geht man eine Neuinszenierung überhaupt an? „Jeder erinnert sich erst einmal für sich.“
Danach beginnen die Proben, helfen Videoaufzeichnungen der Erinnerung auf die Sprünge und orientiert sich das Ensemble beim gemeinsamen Blick ins Regiebuch: „Wir tasten uns langsam heran, bis das Stück wieder zu seiner ganzen Stärke findet.“
Das Stück ist in Zeiten des Umbruchs entstanden — just im Jahr der Uraufführung hat Großbritannien Hongkong an China zurückgegeben. „Das war für das Ensemble eine spannende Erfahrung“, erklärt Sturm. Daher gilt: „Politik steht — wie immer bei Pina — nicht im Vordergrund, spielt aber natürlich eine Rolle.“
„Es ist ein anspruchsvolles Stück“, betont der künstlerische Leiter — nicht zuletzt mit Blick auf die stattliche Anzahl der Protagonisten. Nahezu das komplette Ensemble steht auf der Bühne. Auch eine Ex-Ensemble-Tänzerin und amtierende „Tatort“-Schauspielerin ist wieder mit dabei: Publikumsliebling Mechthild Großmann hat schon bei der Uraufführung dafür gesorgt, dass die Geschlechterfrage Pina-Bauch-üblich zur Geltung kommt. Das Stück gleicht vordergründig einer Reise nach Asien, lotet gleichzeitig jedoch die Grenzen und Möglichkeiten der Liebe aus. Dazu erklingt Musik, die „breit gemischt“ ist, wie Sturm erklärt — von poppigen Tönen bis hin zu traditionellen chinesischen Rhythmen.
Zurück zum Ausgangspunkt also. Oder anders gefragt: Welche Szenen hat „Der Fensterputzer“, die andere Produktionen nicht haben? Auch da überlegt Sturm — bis klar ist, dass es unter den „vielen Szenen, die mir sehr gefallen“, womöglich doch einen Lieblingsmoment gibt. Der nämlich, in dem die Tänzer auf die Zuschauer zugehen und ihnen Fotos aus ihrer Kindheit zeigen. Bei einem Gastspiel in Istanbul führte diese Geste sogar zu einer Gegenreaktion: Dort haben Zuschauer spontan zum Portmonee gegriffen, „eigene Fotos herausgeholt und den Tänzern entgegengehalten. Das hat auch Pina Bausch sehr berührt.“ Bleibt abzuwarten, ob sich das Wuppertaler Publikum daran ein Beispiel nimmt . . .