Tanztheater: Zeitreise in die 70er Jahre auf großer Leinwand

Staunen im Cinemaxx: Erstmals waren Aufnahmen aus den 70er Jahren zu sehen.

Wuppertal. Zaghaftes Husten, vorsichtiges Räuspern, leise Musik. Nein, es ist nicht die Geräuschkulisse im Kinosaal. Dort könnte man die sprichwörtliche Nadel fallen hören. Das Räuspern kommt vom Band, und nur wer die Ohren buchstäblich spitzt, kann direkt verstehen, was Tänzerin Josephine-Ann Endicott kokett verspricht. Zum Glück wiederholt sie es immer und immer wieder: „Ich bin eine anständige Frau!“

Charmant-provozierend betont sie es — den Blick direkt ins Publikum gerichtet. Womit wiederum nicht die Zuschauer im Cinemaxx, sondern die Gäste im Theatersaal gemeint sind. Denn die „anständige Frau“ ist Teil einer Tanz-Vorstellung, die vor fast 40 Jahren stattfand und die die Kinobesucher von heute in Schwarz-Weiß nacherleben.

Dass Kino und Tanz sehr wohl zusammengehören können, beweist die Pina-Bausch-Stiftung pünktlich zum 40. Geburtstag des Wuppertaler Tanztheaters. Beim ersten Filmmarathon mit Archivaufnahmen aus den 70er Jahren kann man bestens verstehen, zumindest nachvollziehen, weshalb so mancher Zuschauer-Pionier irritiert gewesen sein dürfte, als Pina Bausch in Wuppertal den Tanz revolutionierte. Unterschiedlicher und verblüffender könnten die Zeitzeugnisse kaum sein: Der zwölfstündige Marathon startet mit Ausschnitten aus „Fritz“, in denen die Tänzer textlos — fast wie Geister — über die Leinwand „flattern“, geht über in das mitreißende Schlager-Ballett „Ich bring dich um die Ecke“, in dem es auch gesanglich zur Sache geht, und endet mit klassisch-dramatischer Musik („Adagio — Fünf Lieder von Gustav Mahler“).

Doch zurück zu Josephine-Ann Endicott. „Ich bin eine anständige Frau!“ Die Australierin kichert keck, lacht lasziv. Je länger die Kamera auf sie gerichtet ist, desto mehr vergisst man, dass das Ganze schon Jahrzehnte her ist und man im Kino sitzt. Heitere Szenen („Wir tanzen Foxtrott!“) zaubern auch heute noch ein Lächeln aufs Gesicht.

Nicht nur Andrea Krampe ist sichtlich beeindruckt von den Aufnahmen, die noch nie öffentlich zu sehen waren: „Sie sind echte Perlen“, betont sie. „Es ist faszinierend, wie präzise Pina Bausch gearbeitet hat.“ Den Archiv-Schätzen zu folgen, die beim Ansehen alle Aufmerksamkeit verlangen, sei allerdings auch anstrengend. „Die Augen sind jetzt müde“, erklärt Krampe nach dem ersten Film-Block. „Es kam etwas unvermittelt. Ich hätte mir Kommentare zu den Filmen gewünscht.“ So ist der Marathon hauptsächlich etwas für eingeschworene Tanztheater-Fans — für solche, die in den 70ern direkt Feuer und Flamme waren, genauso wie für solche, die sich erst mühsam herantasten mussten. Artur Gante gehört zu jenen Treuen, die sich erst „einsehen“ mussten. „Ich bin ein pragmatischer Typ. Als ich in den 70ern das erste Stück von Pina Bausch gesehen habe, habe ich kein Wort verstanden“, gibt er zu. „Deshalb habe ich damals beschlossen, dass ich so lange ins Tanztheater gehe, bis ich etwas verstanden habe.“

Hat er denn inzwischen alles verstanden? Gante schmunzelt: „Ich lerne immer noch dazu.“ Nun auch per Film.