Theater hinter der Vorstadt-Fassade
„Aus euren Blicken bau ich mir ein Haus“: Thomas Melles Studie erhielt viel Beifall.
Wuppertal. Ein schwules Pärchen, das mit einer psychopathischen Nachbarin anbandelt, um bei einem flotten Dreier ein Kind zu zeugen — das könnte ziemlich schnell ins allzu Absurde, peinlich Platte oder alarmierend Affektierte entgleiten. Dann wäre Thomas Melles neueste Vorstadt-Studie („Aus euren Blicken bau ich mir ein Haus“) nicht mehr als ein hoffnungslos überladener Klischee-Reigen von vorgestern — ein Tiefpunkt der Theatergeschichte.
Ein einziger, durchgängiger Höhepunkt ist das Kammerspiel um drei menschlich-entrückte Grenzgänger zwar nicht — trotzdem hat es seine spannenden, berührenden, berechtigten Seiten. Denn Eike Hannemann, der das pausenlose 100-minütige Treiben kurzweilig auf die Bühne bringt, setzt — bei aller Ernsthaftigkeit — auf viele komische Momente, die nie ins Klamaukhafte kippen, dem sprachlich dichten Stück jedoch mitunter die Schwere nehmen und das nötige Maß an Heiterkeit geben, das es braucht, um dem Publikum Gelegenheit zum Durchatmen zu geben.
Das zeigt vor allem eine kleine, aber feine Szene: Die Ménage à trois steuert dem wichtigsten Akt zu, als alle drei auf dem Boden liegen. Übereinander, wohlgemerkt. Fast nackt — aber eben nicht ganz nackt — drehen sie sich gegenseitig die Rücken zu. Zuerst bringt sich Dorte (Anne-Catherine Studer) in Position — sie legt sich auf den Bauch. Über ihr folgt Kevin (Jakob Walser), über den beiden schließlich Birger (Lutz Wessel).
Und dann geht es los: Einhelliges Stöhnen und zeitgleiche Liegestütze — ein rhythmisches Auf und Ab — markieren den athletischen Zeugungsakt. Das ist witzig und wirkungsvoll, weder peinlich noch plump. Im Gegenteil. Es bringt das Wichtigste auf den Punkt: Kevin ist der biologische Vater, aber Birger möchte nicht außen vor sein. Auch wenn es anders scheint, weil permanent pillenförmige, flüssige oder löffelweise konsumierte Drogen im Spiel sind: Es geht eben nicht (nur) um den schnellen Kick. Das Trio sucht Nähe — emotionalen, aufrichtigen Halt.
Dabei beginnt die Flucht aus konservativen Lebensentwürfen durchaus zäh: Die beiden Männer, die buchstäblich am Rande der Gesellschaft stehen und kein Kind adoptieren dürfen, zieht es aus der Metropole in die Vorstadt. Was paradox genug ist: Im Grunde genommen sucht das „altersdifferente Paar“ — Birger ist älter als Kevin — eine gutbürgerliche Familienidylle. Die beiden wollen anders sein, sind es aber nicht — jedenfalls nicht in aller Konsequenz.
Sie benehmen sich genauso skurril wie spießbürgerlich, beobachten jede Bewegung im Viertel, lästern über die lethargische Nachbarschaft — und sind doch selbst nichts anderes als finanziell abgesicherte Nichtstuer. Aktiv werden sie erst, als sie eine potenzielle Leihmutter, die manisch-depressive Dorte von nebenan, entdecken. Auch das ist symbolisch zu verstehen: Dortes Leben ist eine Baustelle. Sie kommt einfach nicht voran — vor allem nicht bei ihrem Plan, den Hausbau aus eigener Kraft zu vollenden.
Die große Stärke des Stücks ist, dass Melle zwar klare Andeutungen macht, aber dennoch vieles in der Schwebe lässt. Die Männer lassen Dorte nach einem manischen Schub in die Anstalt einweisen. Ist es schicksalhafte Fügung oder ein kaltblütiger Plan, um das Sorgerecht für das Kind zu erhalten? Dorte wiederum hat aggressive Fantasien. Wird sie ihr Kind am Ende umbringen?
Der große Nachteil der Vorlage ist, dass der komplexe Text Zuschauer an vielen Stellen an den Rand der Überforderung bringt. Die sprachlichen Finessen, mit denen die postmoderne Perspektivlosigkeit seziert wird, zu lesen, ist eine vergnügliche Herausforderung. Den Text hingegen auf der Bühne zu hören, ist anstrengend — gerade in den analytischen Monologen, die Melle zwischen die Szenen streut. Die Gegenüberstellung von Innen- und Außensicht gelingt an manchen Stellen sehr passend und homogen, an anderen unterbricht sie eher störend den Fluss der Handlung und führt zu Brüchen.
Die Darsteller haben deshalb kein leichtes Spiel. Man spürt, dass ihnen die stilisierte Sprache noch nicht so leicht über die Lippen geht, wie es nach weiteren Vorstellungen der Fall sein dürfte. Die große Stärke der Inszenierung wiederum ist, dass die Figuren nicht überzeichnet werden. Lutz Wessel gelingt der Spagat am besten. Als Metzger-Erbe widersteht er der Versuchung, das Bild des schwulen, älteren Liebhabers stereotyp und allzu grobschlächtig zu zimmern: Birger ist stolz, aber auch verletzbar — er kann seine Eifersucht kaum verbergen, wenn abzusehen ist, dass sein Partner auf fremden Pfaden flott und flexibel Zerstreuung sucht.