Von der Lindenstraße zu Lulu: Der Doktor, der Schauspieler ist
Im Fernsehen spielt er Dr. Stadler, im Opernhaus ist er Dr. Schön: Michael Schmitter macht zum ersten Mal Theater in Barmen.
Herr Schmitter, Sie spielen in einer der populärsten Fernsehserien mit. Wie oft werden Sie auf die „Lindenstraße“ angesprochen?
Michael Schmitter: Das hängt davon ab, ob eine Folge mit mir am Sonntag gelaufen ist oder nicht. Wenn ja, dann werde ich manchmal recht häufig angesprochen und auch um ein Autogramm gebeten. Aber das bewegt sich alles noch im Rahmen. Bevorzugte Orte für eine solche „Ansprache“ sind Bahnhöfe, Züge oder auch der Buchladen. Anscheinend schauen viele Buchhändler die „Lindenstraße“.
Dort spielen Sie einen Arzt. Würden Sie sich von Dr. Ernesto Stadler auch selbst behandeln lassen?
Schmitter: Durchaus. Er scheint mir kompetent zu sein und kann zuhören — zwei wichtige Eigenschaften eines „Docs“.
Haben Sie in der „Lindenstraße“ viel Gestaltungsfreiheit oder lassen Drehbuch und Drehbetrieb wenig persönlichen Spielraum?
Schmitter: Wir haben verschiedene Regisseure im Laufe eines Jahres. Manche lieben es, wenn man Vorschläge macht und etwas anbietet, andere ziehen ihr „Ding“ durch. Wenn man da zu forsch kommt, kann es zu Missstimmungen kommen. Grundsätzlich will ich immer mitarbeiten und trete dabei anderen schon mal auf die Füße. Aber ich weiß mich mittlerweile zu beherrschen.
Ist die Fernseh-Popularität eher hilfreich oder hinderlich, wenn es darum geht, Theaterrollen zu erhalten?
Schmitter: Da muss man differenzieren. Serien-Popularität hilft einem maximal im Boulevardtheater. Wenn man eine große Nummer im Film oder in Fernsehfilmen ist, also Quote bringt, ist das auch für Theaterintendanten interessant — vor allem, wenn es sich auch noch um einen guten Schauspieler handelt. Ich habe noch keine Theaterrolle wegen meiner Fernsehaktivitäten bekommen. Ich glaube auch nicht, dass mir deshalb etwas durch die Lappen ging. Das könnte ich mir allerdings eher vorstellen.
Die Arbeit vor der Kamera ist grundlegend anders als jene auf der Theaterbühne. Was ist die größere Herausforderung?
Schmitter: Theaterspielen habe ich 20 Jahre lang gemacht. Es ging von einem Engagement ins nächste. Theater ist Vergrößerung, Spielen, Skizzieren, Experimentieren. Das habe ich von der Pike auf gelernt. Deshalb würde ich sagen, dass ich das besser beherrsche. Film ist vor allem „Sein“, nicht „Spielen“. Darin liegt für mich die größte Herausforderung.
Sie machen zum ersten Mal Theater in Wuppertal: In der „Lulu“-Inszenierung spielen Sie den reichen Verleger Dr. Schön. Wie kam es dazu?
Schmitter: Die Regisseurin Sybille Fabian kannte mich aus anderen Arbeitszusammenhängen und wir trafen uns zufällig auf der Straße. Sie fragte mich, ob ich Lust auf den Dr. Schön in „Lulu“ hätte. Ich kannte mehrere ihrer Arbeiten und war begeistert.
Sybille Fabian inszeniert „Lulu“ bildgewaltig und expressiv. Konnten Sie sich sofort in ihre Bildsprache einfinden, oder gab es bei den Proben auch die ein oder andere Szene, an der Sie länger als erwartet feilen mussten?
Schmitter: Es war nie leicht, aber immer sinnvoll. Es gab Krisen zu überstehen — wie bei fast jeder guten Arbeit. Die enorme Verzerrung und Verfremdung der Figuren war sowohl lustvoll als auch enorm anstrengend, bis ich das Zentrum meiner Rolle erfahren habe. Dann ging es leichter.
Welche Szene ist für Sie die aussagekräftigste?
Schmitter: Das ist schwer zu sagen. Ich denke an alle Szenen, bei denen ich beim Zuschauen denke: „Mensch, ich verstehe nichts, aber es ist enorm spannend!“ Das gilt vor allem für den Totentanz mit der geladenen Waffe, wenn sich Lulu und Schön auf Augenhöhe begegnen und sich lieben.
Die Wuppertaler Bühnen stehen derzeit am Scheideweg und kämpfen durch die drohenden Sparmaßnahmen ums Überleben. Wie nehmen Sie als Gast-Schauspieler die Situation wahr?
Schmitter: Man spürt es an allen Ecken und Enden. Die Menschen in der Stadt wissen oft nicht, dass das Theater noch existiert. Oft heißt es: „Ach, ich dachte, das wäre geschlossen!“ Das Theater scheint keine wichtige Rolle in einer Stadt zu spielen, die sich in einem schweren Umbruch befindet. Es wird noch geduldet, aber nicht mehr gewollt. Gerade eine Stadt wie Wuppertal braucht das Theater. Welche Institution sollte sich sonst der „Verwüstung“ der Kultur entgegenstellen? Es ist ein gutes Ensemble, hungrig und bereit, sein Publikum zu verführen. Die Zuschauer müssen sich nur verführen lassen!
Bevor Sie Schauspieler wurden, haben Sie eine Lehre als Landwirt absolviert. Was gab den Ausschlag, dass Sie es dann doch ins Rampenlicht zog?
Schmitter: Meine Gefallsucht, mein Spieltrieb und meine Sehnsucht nach Utopien jenseits des Materiellen.
Wie erleben Sie das Wuppertaler Publikum?
Schmitter: Als warm, wach für Neues und Unerwartetes, im Temperament etwas gebremst. In Wuppertal hatten wir mit „Lulu“ erst zwei Vorstellungen. Ich freue mich auf weitere Begegnungen mit dem Publikum.