Wirbel um „Die kleine Hexe“: Was sagen Verlagsleiter im Tal?
Muss klassische Kinderbuchliteratur heute politisch korrekt sein? Eine aktuelle Umfrage zu nicht mehr zeitgemäßen Begriffen.
Wuppertal. Seit mehr als 50 Jahren haben es Kinder und Eltern mit „Negerlein“ zu tun. Dabei ist es streng genommen „nur“ ein Wort, das derzeit die Literaturwelt aufwühlt. Doch hinter den „Negerlein“, die Ottfried Preußler in seinem Klassiker „Die kleine Hexe“ buchstäblich Schwarz auf Weiß positioniert hat, steckt viel mehr — die grundsätzliche Frage nämlich, ob Kinderbuchliteratur heute politisch korrekt sein muss.
Der Stuttgarter Thienemann Verlag jedenfalls will den umstrittenen Begriff aus der 1957 erstmals erschienenen „Kleinen Hexe“ streichen. Zu Recht? Die Antworten darauf fallen eindeutig aus — jedenfalls bei Monika Bilstein, Ekkehard Brockhaus und Alfred Miersch. Die Wuppertaler Verlagsleiter schütteln unisono den Kopf. So hält Miersch „die nachträgliche Korrektur von politisch nicht mehr gewünschten Bezeichnungen für hysterisch zeitgemäß“, wie der Leiter des Nordpark Verlags auf WZ-Nachfrage erklärt: „Auch der Umgang mit fetten Speisen, Alkohol, Zigaretten, dem Frauenbild, der Energie und den nachwachsenden Rohstoffen im Kinder- und Jugendbuch müsste ja dringend überarbeitet werden. Eine Neubearbeitung der Gewaltsituation in Märchen wäre vonnöten, letzten Endes müssten auch die Klassiker nach nicht mehr zeitgemäßen Begriffen untersucht werden.“ Miersch warnt vor den Folgen: „Schlussendlich müsste die gesamte Literatur neu interpretiert und dem herrschenden Zeitgeist angepasst werden.“
Auch Bilstein hält es „für völlig abwegig, auch noch über die Glättung mancher Handlungen zu diskutieren“. Sie leitet den Peter Hammer Verlag, der speziell für preisgekrönte Kinderbücher bekannt ist, die alles andere als „betulich“ daherkommen.
Monika Bilstein, Verlagsleiterin
„Grimms Märchen sind Grimms Märchen, und darin wird eben die Hexe verbrannt“, betont Bilstein. „Sie sind nicht brutaler als so mancher aktuelle Fantasy-Roman, von Filmen und Computerspielen, die oft nicht auf den Prüfstand kommen, ganz zu schweigen. Und generell gilt doch bei Klassikern dasselbe wie bei moderner Literatur: Entscheidend ist der Geist, der sie prägt. Ist etwas geschrieben, um sich an Gewalt oder Grausamkeit zu ergötzen? Dann ist Zensur berechtigt.“
So sehen es Miersch und Bilstein am Ende wie ihr Kollege Ekkehard Brockhaus, der Eltern und Großeltern in die Pflicht nimmt: „Man muss sich schon die Mühe machen, solche Begriffe zu erklären.“ Im Idealfall, so Bilstein, sind sie der Anstoß zu einem Gespräch über Literatur und Gesellschaft. Dabei sollten Erwachsene dem Nachwuchs erklären, „dass die Worte aus einer anderen Zeit stammen und wir heute ein anderes Weltbild haben — eine andere Haltung zum Fremden“. Wahre Vorbilder sollten also nicht nur vorlesen, sondern auch kommentieren. „Eltern müssen erläutern, was ein Mohr, Neger oder Zigeuner ist“, sagt Miersch. Den entscheidenden Akzent setzen demnach nicht einzelne Worte, sondern die (Vor-)leser von heute.