Underground VI So belebt das Pina Bausch Tanztheater das Schauspielhaus

Wuppertal · Das Tanztheater in Wuppertal hat mit apokalyptischen Darbietungen gezeigt, dass das Schauspielhaus trotz jahrelangen Stillstands lebt. Unsere Autorin hat eine grell erleuchtete Science Fiction-Kulisse entdeckt.

Emma Barrowman und Mohamed Kourouma sowie Julia Anne Stanzak (v.l.) im Foyer des Schauspielhauses — im Hintergrund eines der angeleuchteten Atrien.

Foto: Evangelos Rodoulio/Tanztheater Pina Bausch

Die Apokalypse ist nah. Und wo könnte sie besser inszeniert werden als im Schauspielhaus? Jenes geschlossene Graubner-Gebäude, Zeugnis der Baukunst der 60er Jahre, das seit Jahr und Tag auf seine Sanierung wartet. Verloren gegangene Heimat des Tanztheaters Pina Bausch, dessen Tänzer nun zurückerobern, was ihnen doch unter den Händen zerbröckelt.

Eine grell erleuchtete Science Fiction-Kulisse, die abstößt, bedrohlich, surreal und unnatürlich wirkt – zugleich große Magie entfaltet, fasziniert. Im Rahmen des „Underground“-Formats zeigten Ensemblemitglieder des Tanztheaters und Gäste am Wochenende aktuelle, experimentelle choreographische Arbeiten. Zwei spannende Abende, die erneut bewiesen, dass Wuppertal ein gutes Pflaster für erstklassige, innovative Tanzkunst ist. Dass das Erbe Pina Bauschs lebt und sich weiterentwickelt. Das Publikum belohnte mit lautem Jubel.

Der Andrang war groß. Die Freunde des Tanztheaters standen Schlange, drängten sich auf Stühlen und auf dem Boden. Versprochen wurden ihnen Arbeiten von den Mitgliedern der Compagnie, die nicht mit den Proben von „Er nimmt sie an der Hand und führt sie in das Schloß, die anderen folgen“ befasst sind. Die Neueinstudierung von Pina Bauschs Version von Shakespeares Macbeth hat am 17. Mai im Opernhaus Premiere. Die Arbeiten sind bewusst noch im Probenstadium, so wie es Underground schon fünf Mal an verschiedenen Standorten gezeigt hat. Das für die sechste Ausgabe gewählte Foyer des Schauspielhauses mit seinen Treppen, langen verglasten, labyrinthischen Gängen und verwilderten Atrien weckte Erinnerungen und die Hoffnung, dass mit dem Pina Bausch Zentrum die Dornröschenzeit bald vorüber ist.

Vier Angebote erwarteten die Besucher: Ein zirka sieben Minuten langer Virtual-Reality-Film zeigte auf den Treppenabsätzen eine Choreographie von Fabien Prioville mit Jin Young Won, Iker Arrue und Julie Shanahan. Leider konnten ihn immer nur vier Zuschauer gleichzeitig sehen, so dass das Vergnügen beschränkt blieb.

Vergeblicher Kampf ums Überleben in künstlicher Welt

Tanztheater-Intendantin Bettina Wagner-Bergelt fördert – im Geiste Pina Bauschs – Begegnungen mit anderen Nationalitäten und fremden Kulturen, weshalb Nora Chipaumire aus Simbabwe, eine der radikalsten Vertreterinnen des zeitgenössischen afrikanischen Tanzes mit ihrem Tänzer Macintosh Jerahuni einen Workshop gab. Ein spielerischer, an- und abschwellender Dialog aus Bewegungen, der das Publikum beteiligte, Lust auf mehr machte.

Für „Brocken“ war im ehemaligen Haupteingangsbereich ein Raum abgetrennt worden. Çağdaş Ermis, Blanca Noguerol Ramírez und Christopher Tandy agierten hier unter der Regie von Pau Aran Gimeno. Ihr facettenreiches Spiel nahm immer wieder Bezug auf Shakespeares Macbeth und den Gedanken, dass das vermeintlich Schlechte in Wirklichkeit gut und das vermeintlich Gute in Wirklichkeit schlecht ist. Sie setzten das bedrängende Spiel um Wahrheit, Nähe, Hässlichkeit, Schuld und Alpträume, um Feindschaft und Freundschaft in Worte, Lieder, vor allem aber sehr beeindruckende Bewegungsabläufe um. Am Ende erlösten sie sich und das Publikum mit ausgelassenem, ehrlichen (?) Lachen.

Keinen Titel hat Rainer Behrs Stück, das das Foyer selbst in all seinen Möglichkeiten als Baustelle, gestrandetes Raumschiff und verlorene Welt auslotet. Emma Barrowman, Andrey Berezin, Milan Kampfer, Nayoung Kim, Julie Anne Stanzak, Ophelia Young, Tsai-Chin Yu vom Ensemble und die Gäste Mohamed Kourouma, Mark Scieczkarek sowie Hirohiko Soejima kämpften hier eine knappe Stunde vergeblich gegen Vereinzelung, Kälte, Verderben und Schuld an. Suchten nach Halt und Ordnung, Schutz, Rettung, Überleben. Die Menschen irren in einer künstlichen Welt umher, die Natur ist ausgesperrt, kommt vom Band oder als verdorrter Zweig. Unter hämmernder, oft elektronischer Musik wird gestritten, geschwiegen, gerannt, werden einsame Bewegungsabläufe immer wieder wiederholt. „Daisy Bell“ erklingt in Erinnerung an den Computer HAL 9000 in „2001: Eine Weltraum-Odyssee“, nicht als Liebeslied. Das selbst verschuldete Verderben lässt sich nicht abwenden, das Blut (auch wenn es aus roter Beete gepresst wurde) nicht von den Händen waschen – jeder kann Macbeth sein.

Im November sollen die Arbeiten fertig sein, sind die Premieren angesetzt. Das Wochenende (die Aufführungen fanden Freitag und Samstag statt) hat neugierig gemacht.