Freies Netzwerk Kultur Wuppertaler Kulturkolumne: Kunst und Vermittlung sind weder Trendsport noch Kinderspiel

Wuppertal · Wie können die Menschen zu einem Blick aufeinander motiviert werden? Diese Frage stellt sich unser Kolumnist Max Christian Graeff.

Max Christian Graeff

Foto: C. Paravicini

Heiliger Bimbam, was treiben wir da unverdrossen? Die Zahl der alpinen Schneekanonen hat sich seit Greta Thunbergs neuntem Geburtstag verdoppelt, auch zum Krisensilvester sind Fernreisen der Hit, und im nächsten Jahr gehen noch größere Kreuzfahrtschiffe mit besten Gewinnvorsätzen auf Jungfernfahrt. Alle Kollateralnutzen der Lockdowns sind verdampft.

Allein die Transportnetze der deutschen Weihnachtsbaum-Saison spülen weitere 150 Tonnen Plastikmüll in die Weltmeere, als Nachschub fürs Ocean Plastic, dem Greenwashing unserer Gier nach dem Schönen. Dafür kann man doch mal junge Menschen mit überlebensrelevanten Interessen nachhaltig als Terroristen brandmarken, um davon abzulenken, dass das gewaltsame Aufrechterhalten von Gemütlichkeit und die eskalierende Ignoranz viel eher zum Begriff des Terrors passen, zur systematischen Verbreitung von Schrecken, um Menschen gefügig zu machen. Von den paar gerammten Eisbergspitzen des kalt geplanten Terrors von als Mitte getarnten Rechtsextremen ganz zu schweigen, denn über allem liegt doch gerade der Glimmer der Liebe – und den haben wir uns, verdammt, doch wohl verdient …

In einer ersten Textfassung ging es hier mit kulturellen Aspekten des Terrorismus weiter, doch das glitt anmaßend ins Zynische und traf keinen Kern. Doch wie lassen sich diese Themen in aller Vorsicht und genügend kräftig umkreisen, um ihnen Töne zu entlocken, die den Selbstzweck und die Gefälligkeit überklingen und die einen selbstständig wirkenden Nachhall erzeugen, der die Menschen fern von Predigt und Pädagogik zu einem anderen Blick aufeinander motiviert? Das ist eine der gewaltigen Aufgaben der Kunst, unlösbar und jeden Morgen von Neuem anzugehen, immer wieder bei der Ratlosigkeit ansetzend, beim Nichts und bei allem, beim Rätsel der Existenz und beim unbegreiflichen Willen, diese schon allein durch die Behauptung zu zerstören, dass man besser, stärker und adventlicher als andere sei. Dass dieser ewige Anfang sich in der prioritären Selbstpflege des großen Gänsestopfens zuweilen ermüdet und erschöpft, ist allen bekannt, die in der Kunst leben.

Manchmal betankt man sich gegenseitig, wie es bei den – bestürzend schmal besuchten – Vorstellungen von Andreas Bärs „Drei Kurzopern“ in der Insel möglich war. So sind auch manche der allzu schnell als selbstreferenziell bewertbaren Kunstereignisse aus Tanz und Performance zu betrachten: Sie erreichen nur Wenige, aber stärken doch ein Weitermachen, ein Regenerieren von Energie, auch für andere, für handfest politische Kunst und Vermittlung. Wirtschaftliche Effizienz darf weiterhin kein Maßstab sein, vor allem nicht in einem Winter, der einen Kerzenschein auf die Misere wirft, die den meisten nicht etablierten Künstlerinnen und Akteuren in Kulturbetrieben erst noch bevorsteht.

 Die reine Kunst, der stetig fragende erste Strich als Ausgangspunkt aller Wege zur Vermittlung von Menschlichkeit, von der Möglichkeit eines Guten, von der großen Lust an der Neugier war auch für Wolf Erlbruch unverzichtbar. Seine Druckwerke zeugen von brillantem Handwerk, das jedoch ohne das große Nichtwissen und Suchen, ohne die Seele der Kunst nicht möglich war. So begegnete er auch den Menschen auf der Straße, die von seinen Preisen und Erfolgen gar nichts wussten und die manches von ihm für den Tag und die nächste Nacht bekamen. Und so arbeitete er stets an der Verantwortung für die Lebens- und Lesenszeit der Kinder und die Hoffnung, dass etwas bleibt: die Chance auf einen nächsten ersten Strich im Ringen mit sich selbst und um die Welt.