Wuppertaler Sinfonieorchester : Wenn die Solo-Geige schluchzt
„Der letzte Mann“ begeisterte in der Stadthalle. Das städtische Orchester machte aus dem Stummfilm ein hörbares Ereignis.
Wuppertal. In sich zusammengesunken kauert der füllige, alternde Mann mit dem mächtigen grauen Zwirbelbart und den weißen Ohrenlöckchen auf dem Stuhl in der Herrentoilette des Hotels. Nur die Solo-Geige schluchzt ein Lamento, als seine Schmach entdeckt wird - tiefer kann ein Mensch nicht sinken.
Nicht aus einer dramatischen Oper stammt diese Szene, sondern aus dem frühen Film-Drama "Der letzte Mann", das als Stummfilm von Friedrich Wilhelm Murnau 1924 Premiere hatte. Am Samstagabend zeigte das gut aufgelegte Wuppertaler Sinfonieorchester den bewegenden Film mit Emil Jannings in der Hauptrolle. In der Reihe "Stummfilm & Livemusik" begeisterten die städtischen Musiker in der Stadthalle.
Bernd Wilden hat die neueste Filmmusik dazu geschrieben, er dirigierte seine Komposition selbst. Maßgeschneidert ist seine Musik auf die Bildhandlung: komplexes Instrumentengewirr bei der modern anmutenden Kamerafahrt im Lift, durch die Lobby des Hotels "Atlantic" bis zur schwingenden Drehtür, vor der Jannings als Portier im prächtigen Livree seinen Dienst versieht.
Dramatik kündet die Musik an, wenn der Portier im unförmigen Regencape - beim Abladen eines schweren Koffers - einen Schwächeanfall erleidet. Das musikalische Leitmotiv begleitet den Abstieg vom geachteten Portier zum Toilettenmann durch den ganzen Film.
Oft illustriert die Musik, was zu sehen ist: Trompetensignale beim Nachtwächter-Auftritt, Vogelstimmen und Glockenschläge zum nahenden Morgen, das Hupen der Autos im bewegten Straßenbild Berlins in den 20ern des vorigen Jahrhunderts.
In romantisch-sinfonischer Breite beschreibt Wildens Komposition, wie sich die Nichte auf ihre Hochzeit vorbereitet - freilich mit dem verqueren Walzer aus einem Kinderlied ". . . hält der Bettelmann Hochzeit".
Denn der Portier ist ein einfacher Mann, lebt in Zilles Hinterhaus-Milieu. Nur die imposante, betresste Livree verleiht ihm Achtung und Würde. Die verliert er mit der Uniform und muss auf der Toilette seinen Dienst versehen. Was liegt näher, als zur Hochzeit der Tochter in der entwendeten Livree zu erscheinen?
Spannung erzeugt Wildens Musik durch Cluster aus Streicher-Tremoli - recht häufig verwendet er dieses Muster. Aber auch neuere Stilmittel unterstreichen die Handlung: stürzende, dissonante Glissandi, düstere Paukengewitter und schräge Tonfolgen.
Dass das Schicksal auch anders spielen könnte, beschreibt ein zweites Ende: Als ein Millionär dem "letzten Mann" auf der Toilette sein Vermögen vermacht, avanciert der gefeuerte Portier zum umworbenen Hotelgast. Der lädt den Menschen zum Schmausen ein, der ihm in schweren Zeiten Trost spendete: Der Nachtwächter fühlt sich mit Harfengesang wie im siebten Himmel.
Nur Paukenwirbel, Blechgetöse und Streichergetümmel am Ende zeigen, dass das alles ja gar nicht wahr sein kann