Kanzlerin in Wuppertal Beifall für Angela Merkel nach dem Bürgerdialog
Wuppertal · Die Bundeskanzlerin wurde in der Villa Media mit Beifall begrüßt und mit Beifall verabschiedet. 50 Bürger aus Wuppertal und 20 aus Schwerin diskutierten mit ihr über 70 Jahre Grundgesetz. Lothar Leuschen, Chefredaktion Westdeutsche Zeitung, moderierte die lebhafte Diskussion.
Bundeskanzlerin Angela Merkel war nach ihrem Besuch der Junior Uni pünktlich in der Villa Media eingetroffen, wo um 15.30 Uhr der Bürgerdialog zum Jubiläum des Grundgesetzes begann. Zuvor wurde sie von Wuppertals Oberbürgermeister Andreas Mucke begrüßt und trug sich in das Goldene Buch der Stadt Wuppertal ein. Hausherr Jörg Heynkes hatte Angela Merkel zur Begrüßung sein Buch Zukunft 4.1 überreicht.
Im Saal warteten 50 Wuppertaler Bürger und 20 Bürger aus der Partnerstadt Schwerin auf den Austausch mit der Kanzlerin über das Grundgesetz, das am 23. Mai 70 Jahre alt wird.
Der Bürgerdialog fand in der Villa Media in einem sehr intimen Rahmen statt. Die Teilnehmer saßen im Halbkreis und kamen der Bundeskanzlerin sehr nahe. Das ermutigte sie offensichtlich dazu, auch kritische Fragen zu stellen. Angela Merkel wurde mit freundlichem Beifall von den Teilnehmern begrüßt. Lothar Leuschen, Mitglied der Chefredaktion der Westdeutschen Zeitung, moderierte den Bürgerdialog und richtete gleich die erste Frage an Angela Merkel. Was bedeutet für Sie das Grundgesetz? Angela Merkel beschrieb sich als Fan der 146 Artikel des Grundgesetzes und wies auf die Schwachpunkte der Weimarer Verfassung hin, die von den Verfassern des Grundgesetz nicht wiederholt worden seien. Im Anschluss folgen die ersten Fragen aus dem Kreis der Bürger.
Seit Sonntagvormittag wurde der Besuch der Bundeskanzlerin in der Villa Media vorbereitet. „Die Organisation des Bundeskanzler- und Bundespresseamtes ist absolut perfekt und hier weiß jeder, was er zu tun hat. Wir freuen uns natürlich sehr, dass das Bundeskanzleramt unser Haus nach einem regelrechten Casting als Ort des Bürgerdialogs ausgewählt hat“, sagte Hausherr Jörg Heynkes. Und schmunzelnd fügte er hinzu: Wenn sie so gut regieren könnten wie sie solche Events organisieren...
Die Villa Media war im weiten Umkreis abgesichert. Bevor der Bürgerdialog beginnen konnte, mussten die Teilnehmer aus Schwerin und Wuppertal - aber auch die akkreditierten Journalisten - mehrere Sicherheitsschleusen passieren. Die 20 Bürger aus Schwerin waren zum Teil schon schon am Sonntag angereist und hatten in Wuppertal übernachtet.
Zu der kleinen Gruppe aus Wuppertals Partnerstadt Schwerin gehörten Manfred Glöckner, Friedrich Roeck und Ottmar Küger, die mit den Antworten der Kanzlerin nicht ganz glücklich waren. Manfred Glöckner wies darauf hin, dass das Grundgesetz für das wiedervereinte Deutschland eine neue Verfassung vorsehe. Angela Merkel verwies auf eine Zweidrittel-Mehrheit, die für einen solchen Vorstoß erforderlich sei. Dafür sehe sie keine Anzeichen. Ottmar Krüger kam selbst nicht zu Wort, aber er hätte sich aktuellere Themen gewünscht. „Viele der Fragen, die heute kamen, wurden so schon vor vier, fünf Jahren gestellt“, sagte der Gast aus Norddeutschland.
Positiver fiel da die Bilanz der Wuppertaler Schülerin Emma-Mathilda Lipphaus aus, die mit ihrem Bruder Emil Noah die Proteste der Fridays-for-Future-Bewegung zur Sprache brachte. Als die Kanzlerin die Intention allgemein lobte, hakte Emma Mathilda-Lipphaus nach und ging auf die niedrigen Fleischpreise in Deutschland ein, die ihrer Meinung nach ein Teil der ökologischen Probleme sind, da die Massentierhaltung viele Ressourcen verbraucht und die Umwelt belastet. Angela Merkel appellierte an die Verantwortung der Konsumenten - eine Regulation über steuerliche Maßnahmen schloss sie dagegen aus. Schuldirektoren empfahl Merkel, mit Maß auf die Fehlzeiten der Schüler durch die Freitags-Demos zu reagieren. Es habe sich gezeigt, dass die wenigsten Schüler bisher an an allen Demonstrationen teilgenommen hätten. „Wenn der Abschluss nicht gefährdet ist, sehe ich da kein Problem“, sagte die Kanzlerin und fand einen für sie nicht untypischen Ausgang aus der Debatte, in dem sie auf die Länderhoheit in der Bildungspolitik hinwies.
Die Fragen der Teilnehmer deckten ein weites Spektrum politischer Themen ab, wobei das Grundgesetz oft nur den Anknüpfungspunkt für grundsätzliche gesellschaftliche Fragen lieferte. Wie weit darf die Meinungsfreiheit gehen?, fragte Arno Gerlach mit Verweis auf Wahlplakate rechtsextremer Parteien in Wuppertal mit antisemitischer Tendenz. „Es war richtig, dass Wuppertals Oberbürgermeister die Rechtmäßigkeit dieser Plakate hat prüfen lassen“, sagte Angela Merkel. Die Gesellschaft müsse aber akzeptieren, dass das recht auf Meinungsfreiheit in einigen Fällen schamlos ausgenutzt werde. Die Richter scheuten wohl generelle Verbote, um diesen Parteien nicht die Möglichkeit zu geben, eine Märtyrerrolle einzunehmen.
„Das ist eine ganz sympathische Frau“, sagte Hanna Frey, die sich für Kinder und Jugendliche einsetzt, die in Pflegefamilien und in Kinderheimen aufwachsen. Beginnen diese Jugendlichen eine Ausbildung, dann müssten sie 75 Prozent ihres Gehalts an den Staat als Rückzahlung leisten. „Es ist demotivierend, wenn man von 400 Euro 220 abgeben muss und dann auch noch die Buskarte bezahlen muss“, sagte Hanna Frey, die der Bundeskanzlerin ein von ihr verfasstes Buch zum Thema mit auf den Weg gab, das sie 2016 veröffentlicht hatte. Seitdem habe sich an der Problematik aber nichts geändert.
. Ebenfalls zur Sprache kam der Mangel an Pflegekräften. Hier wurde der Wunsch gegenüber der Kanzlerin laut, die Ausbildungssituation für angehende Pflegerinnen und Pfleger zu verbessern, um den Beruf attraktiver zu machen.
Samir Bouaissa zeigte sich beeindruckt von Merkels Fähigkeit, auf die Vielfalt der Themen einzugehen. „Sie hat sich für alle Fragen Zeit genommen und hat alle Fragesteller ernst genommen.“
Silvio Geßner, Lehrer an der Else-Lasker-Schüler-Gesamtschule, übermittelte eine Frage seiner Schüler. Die wollten wissen, ob es aufgrund der Parteienverdrossenheit nicht an der Zeit sei, auch auf Bundesebene auf Bürgerentscheide zu setzen. Angela Merkel gab sich erwartungsgemäß als Befürworterin der repräsentativen Demokratie zu erkennen. Politiker, die den Erwartungen nicht entsprächen, könnten abgewählt werden. Da es in diesem Zusammenhang aus den Reihen der Wuppertaler Teilnehmer Zwischenrufe in Bezug auf die Bürgerbefragung zur Seilbahn gab, musste sich die Kanzlerin zunächst von Lothar Leuschen kurz auf den Stand der Dinge bringen lassen. „Die Seilbahn ist ein Beispiel für kommunale Selbstverwaltung, das sollen die Wuppertaler selbst entscheiden“, sagte Angela Merkel. Auf kommunaler Ebene sei die Möglichkeit des Bürgerentscheides anders zu bewerten als auf Bundesebene. Zum Thema Brexit wies sie auf das Dilemma hin, dass das Ja der Engländer zum Austritt keine Antwort darauf gewesen sei, wie das Land die Europäische Union verlassen will.
Ob Wuppertal Angela Merkel noch einmal als Bundeskanzlerin erleben wird, ist offen. Sie kündigte an, ihr Amt bis zum Ende der Legislaturperiode bekleiden zu wollen. „Weil es mir Spaß macht.“ Merkel schloss aber aus, dass sie nach dem Amtsende andere politische Ämter bekleiden wird. Dem Wunsch eines Teilnehmers, sie möge ihre politische Arbeit als UN-Generalsekretärin fortsetzen, erteilte sie jedenfalls eine klare Absage.
In Wuppertal lief das Kanzlerinnen-Programm bei strahlendem Sonnenschein wie am Schnürchen ab. Probleme gab es dann in Dortmund am Flughafen. Auf der Rollbahn wurde die Regierungsmaschine von einem Bodenfahrzeug beschädigt, als die Politikerin noch nicht an Bord war. Daher erfolgte der Rückflug nach Berlin mit der Flugbereitschaft der Bundeswehr.