Loveparade: Ein Wuppertaler DJ erinnert sich an das Unglück

Der Journalist Tassilo Dicke war beruflich vor Ort. Er schildert der WZ, was er erlebt hat.

Herr Dicke, Sie waren vergangenes Jahr auf der Loveparade. Wie haben Sie die Tragödie erlebt?

Dicke: Am Tag der Parade war ich auf unserem Float (s. Kasten). Irgendwann war es mir aber zu eintönig, immer im Kreis herumzufahren. Zwischendurch sind wir deshalb übers Geländer zu unseren Autos gegangen. Das Gelände war natürlich voll und es war schwierig durchzukommen.

Wann haben Sie von dem Unglück erfahren? Was haben Sie zu dem Zeitpunkt getan?

Dicke: Zum Zeitpunkt des Unglücks bin ich über den Tunnel gegangen, um zur Bühne zu gehen. Ich habe nur an Indizien gemerkt, da stimmt etwas nicht. Auf einmal kreisten fünf Polizeihubschrauber über dem Gelände. Im Backstagebereich der zweiten Bühne, wo wir planen wollten, wie der Abend weiter laufen sollte, haben wir dann recht früh erfahren, was passiert ist — so gegen 17.15 Uhr. Ich glaube, es war sogar Tom Nowy (DJ, Anm. d. Red.) der mir davon erzählt hat. Erst wussten wir von zehn Toten. Das verbreitete sich wie ein Lauffeuer. Es gab einerseits Leute, die das nicht fassen konnten. Und andere, die gesagt haben, davon lassen wir uns jetzt die Stimmung nicht verderben — eine ganz merkwürdige Situation. Es lief aber alles weiter. Es gab ein paar DJs, die haben ihren Auftritt sofort abgesagt. Andere wurden gebeten, weiterzumachen, um eine Massenpanik zu verhindern. Das finde ich zweifelhaft. Auf dem Gelände selbst gab es ja genug Notausgänge.

Der Veranstalter hat zum Zeitpunkt des Unglücks ein Interview gegeben. Aus diesem Grund sind die Floats angehalten worden. Hätte das Unglück verhindert werden können, wenn die Wagen zurückgezogen worden wären, um mehr Menschen den Zugang zum Gelände zu ermöglichen?

Dicke: Da fehlt mir die Geländekenntnis. Wäre es zu dem Zeitpunkt nicht passiert, dann vielleicht später. Es kamen ja unaufhörlich Menschen auf das Gelände. Es ist totale Spekulation, ob das Zurückziehen der Floats geholfen hätte. Ich bin der Meinung, es ist reines Glück, dass bei den Loveparades in den Vorjahren nichts passiert ist. Da hätte nur mal jemand von einer Laterne fallen oder etwas in einem der U-Bahnhöfe vorfallen müssen, und es hätte eine Massenpanik gegeben.

Es gibt ein Video auf YouTube zu sehen? Wie ist das entstanden?

Dicke: Wir waren mit mehreren Mitarbeitern vor Ort und haben nach dem Unglück einige Video-Interviews gedreht. Wir dachten, wir müssten jetzt noch etwas machen. Das war ja unser Job. Die Loveparade ist ja genau das Thema, das die Leser angeht. Das haben wir nur ein paar Minuten gemacht. Die ganze Absurdität der Situation hat sich währenddessen offenbart: Wir haben ein paar Leute gefunden, die wussten Bescheid und waren natürlich total fertig — während im Hintergrund alles weiterlief. Da tanzten dann auch irgendwelche Typen zwischendurch wild durch das Bild — wie das so ist, wenn man dreht.

Wie sind Sie vom Gelände weggekommen?

Dicke: Mittlerweile gab es einige Ausgänge, wir kamen ohne Probleme runter. Als wir uns vom Gelände entfernten, kam uns eine Kolonne von mehr als 20 Krankenwagen entgegen. In dem Moment dachte ich: Noch mehr Tote? Ich weiß gar nicht mehr wie ich mich da gefühlt habe — total deprimiert, entsetzt und leer.

Wie haben sie die Tage nach der Loveparade erlebt?

Dicke: Am nächsten Tag bin ich wieder nach Duisburg gefahren, war dann an der Unglücksstelle, die natürlich abgesperrt war. Ich habe für Raveline Fotos gemacht und die Szenerie ein wenig beobachtet. Das war bewegend. Ich war erstmals sowohl beruflich als auch privat so nah an einem solchen Ereignis dran.

Welche Folgen hat das Unglück für Veranstalter?

Dicke: Ein gutes Beispiel ist ja Maik Ollhoff, der im Sommerloch in Wuppertal als Folge im letzten Jahr keine Tanzveranstaltungen mehr durchführen durfte. Ich bekomme bei der Raveline natürlich auch von Veranstalterseite viel mit. Da wird gestöhnt, was es auf einmal für Auflagen gibt. Und trotzdem ist vor zehn Tagen beim „Sea of Love“-Festival bei Freiburg erneut eine Groß-Veranstaltung aus dem Ruder gelaufen.

Glauben sie, dass es wieder eine Loveparade geben wird?

Dicke: Ich halte es nicht für ausgeschlossen. Es gibt viele Menschen, die sich das wünschen und dieses Event „zurück zu den Wurzeln“ bringen möchten. Keine Ahnung, ob das funktioniert. Es waren ja eher Örtlichkeit und Organisation für das Unglück verantwortlich. Man muss seine Lehren daraus ziehen, es nicht vergessen.