Klaus Manns „Mephisto“ ist das Stück der Stunde Luise Kinner: Schauspiel, Gesang und Engagement – zurück auf der Bühne in Wuppertal
Wuppertal · Luise Kinner wirkt nach einigen Jahren wieder in einer Schauspiel-Inszenierung mit – aus Wuppertal weg war sie nie
Sie ist ein Wirbelwind, lebhaft, dauernd in Bewegung. 163 Zentimeter Energie, dunkle Locken und Augen, beeindruckende und geschulte Sing-Stimme. Schwer vorstellbar im stillen Kämmerlein, allein mit einer Partitur in der Hand. Luise Kinner braucht die Menschen, ihre Augen, die Reaktion des Gegenübers, das wiederum durch sie selbst reflektiert wird. Gern auf der Bühne. Auf der des Opernhauses steht die Wahl-Wuppertalerin am 8. März wieder – nach Jahren. In einer Doppelrolle ist sie Dora Martin und Barbara Höfgen in Klaus Manns „Mephisto“. Nicolas Charaux erstellt eine Bühnenfassung des Romans für das Wuppertaler Schauspiel. Er bindet die Akteure in die Erarbeitung ein. „Theater ist ein wunderbarer Ort der solidarischen Auseinandersetzung, auch mit tollen Menschen, ein guter Ort zu sein“, freut sich die 39-Jährige.
Fast wäre sie Sängerin geworden. Über die älteren Geschwister war Luise als Sechsjährige in den Kinder- und Jugendchor der Oper Kiel gekommen. Begann zielstrebig nach dem Abitur ein Operngesangsstudium in Halle und merkte, dass ihr das schlichtweg zu einsam erschien. „Ich sah mich nicht am Flügel im bonbonfarbigen Kleid Kunstlieder singen. Ich wollte die Auseinandersetzung mit Inhalten, in die Stoffe tiefer eindringen. Und ich wollte die Diskussion mit Menschen darüber.“ Also sortierte sie sich neu, sprach am Folkwang Theaterzentrum in Bochum vor und studierte Schauspiel. „Ich bin eine Schauspielerin, die das Spiel sucht und braucht. Ich entwickle gerne etwas mit anderen. Theater ist etwas Soziales. Auch wenn das hin und wieder Überwindung bedeutet und Unsicherheit, weil man nicht weiß, wo es hingeht.“
Nach dem abgeschlossenen Studium arbeitete Luise Kinner drei Jahre am Volkstheater München, lernte ihren Mann kennen, der nicht nur Regisseur ist, sondern auch Wuppertaler, und wurde Mutter. 2018 zog die Familie an die Wupper. „Ein harter Bruch, die Wupper ist nicht die Isar“, stellt sie fest.
Wuppertal sei eine Stadt auf den zweiten Blick, beschreibt sie ihre heutige Sicht, erst sei sie schockiert gewesen, dann habe sie ihren neuen Wohnort liebgewonnen. Sie sei viel unterwegs und freue sich jedes Mal, wenn sie wieder zurückkomme, auf den Ölberg, „unser kleines Dorf“ – auch wegen der Menschen natürlich. Wuppertal sei gut für Überraschungen, die Stadtgesellschaft stelle immer wieder Tolles auf die Beine. „Man kann hier sehr gut leben, nicht zuletzt sind die Anbindungen gut, viele Theater nah, das ist für uns beide ein sehr guter Standort.“
„Man kann heute eigentlich gar nicht mehr nicht politisch sein“
Basis für die Freiberuflichkeit aus Überzeugung, die ihr neben dem Theater Zeit für Lesungen, vor allem das von ihr mitgegründete Pour Ensemble gibt. Das inklusive Musik-Tanz-Theater-Ensemble empfindet sie als „große Sinnstiftung, durch die ich weiß, warum ich Theater spiele“. Eine Supertruppe aus Profis und Laien, aus verschiedenen Genres mit verschiedenen künstlerischen Sprachen, aus Menschen mit und ohne Behinderung. Die Arbeit ist interdisziplinär, fordert und gibt Momente, die sie so noch nirgends erlebt hat, „immer anders und immer beim anderen, ein Geschenk“.
Am Schauspiel spielte sie bei „Der Geizige“ (2019), „Romeo und Julia“ (2020). „Die Weber“ (2020), „Der Handlungsreisende“ (2020) mit. Die Pandemie und Projekte führten dazu, dass sich erst jetzt wieder eine Zusammenarbeit ergibt. Nun arbeitet Kinner erneut mit Charaux zusammen, den sie aus ihrer Münchener Zeit kennt und der „Romeo und Julia“ in Wuppertal inszeniert hat. „Er ist mir vertraut, ich weiß wie er arbeitet.“ Wie er zu Ergebnissen kommt, die sich bekanntlich von der Vorlage durchaus deutlich entfernen können. Bei „Mephisto“ freilich sind ihm durch die Romanvorlage, Erzählung und Handlung, engere Grenzen gesetzt. Ein spezieller Roman, der zum einen im Theater spielt und zum anderen Bezüge zu wahren Personen hat. Mit schillernden Gestalten, die selten nur böse oder gut, nur Opfer oder Täter sind.
Außerdem mit wahnsinnig aktuellem Bezug. Das Stück sei das Stück der Stunde. „Theater muss sich mit dem Rechtsruck auseinandersetzen, dagegen angehen, Zeichen setzen“, engagiert sich Kinner und denkt dabei auch an den CDU-Chef Friedrich Merz, der vor der Bundestagswahl in Kauf nahm, von der AfD Unterstützung für seine Migrationsvorhaben zu bekommen. Manche Zitate im Stück seien so aktuell, dass man sie heute eins zu eins hören könne, sagt die Schauspielerin, die sich zusammen mit dem Team tief eingelesen, Dokumentationen gesehen hat.
Sie selbst spielt die Dora Martin, die als jüdische Schauspielerin vor den Nazis fliehen muss (die Rolle ist inspiriert durch Elisabeth Bergner), und Barbara Höfgen, deren Entwicklung von der verwöhnten Tochter aus dem intellektuellen Bürgertum zur politischen Widerständlerin sie sehr spannend findet (die Rolle ist inspiriert durch Erika Mann). Sie schaffe es, sich aus der Faszination zu lösen, die sie als junger Mensch für den älteren Höfgen empfindet, und sich aus eigener Kraft zu entwickeln, Stellung zu beziehen, beschreibt Kinner und landet wieder im Heute: „Man kann heute eigentlich gar nicht mehr nicht politisch sein.“